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Silvio Piccolomini in Wien
Februar und März 1455 in Wien war Wyle ebenfalls anwesend. Im November 1459
hat der deutschsprachige Frühhumanist schließlich Gelegenheit, seinem großen Vor-
bild – inzwischen Papst Pius II. – sein eigenes rhetorisches Können in lateinischer
Sprache als Gesandter auf dem Fürstenkongress in Mantua zu beweisen. Wyles 1472
erstmals in Nürnberg gedruckte Version der Novelle erlebt begeisterte Aufnahme in
Deutschland: zusätzlich zu den drei Gesamtausgaben von Wyles Translatzen erfolgen
bis 1550 noch acht Einzelausgaben dieser Novelle, welche in mehr oder weniger ge-
treuen Versionen letzten Endes Eingang in Volksbücher findet.
Von literarhistorisch geringster Bedeutung bleibt Piccolominis lateinische Ko-
mödie Chrysis, die auf humanistische Vorbilder in Italien (vor allem die Leonardo
Bruni Aretino zugeschriebene Polyxena – Poliscena) zurückgeht. Wegen ihrer Lie-
besthematik und vor allem wegen ihres sprachlichen Ausdrucks liegt dem Verfasser
später als Papst sehr viel daran, diesen Text in Vergessenheit geraten zu lassen, was
ihm bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch gelingt.
Unter dem deutlich sichtbaren Einfluss von Terenz und Plautus, dessen über-
liefertes Komödienwerk Nikolaus von Kues 1429 durch seine Wiederentdeckung
einiger Texte komplettiert hatte, unternimmt Piccolomini in seiner Chrysis eine
humanistische Neubelebung der klassischen Verskomödie. Mit seiner spezifischen
Übertragung typisch antiker Konstellationen von komischen Charakteren in die
zeitgenössische Realität Italiens und Deutschlands markiert er den Beginn der phi-
lologischen Auseinandersetzung mit der lateinischen und griechischen Theatertra-
dition und den Möglichkeiten ihrer Aktualisierung in Neulatein und in den Volks-
sprachen.
Zwei ältere Priester, Dyophanes und Theobolus, verkehren mit zwei Kurtisanen,
Chrysis und Cassina, die sie trotz deren professioneller Verfügbarkeit exklusiv für
sich haben möchten, wobei sie besonders eifersüchtig sind auf zwei junge Rivalen,
Sedulius und Charinus. Nach vielen Komplikationen, deren Struktur nicht immer
überzeugend scheint, entscheiden sich die beiden Frauen schließlich für ein stabiles
Verhältnis zu den wohl situierten Priestern. Dazwischen treten relativ viele Figuren
nur kurz und ohne wirklichen Bezug zur Handlung auf, um einzelne Szenen amü-
santer zu gestalten oder um gewisse Aspekte eines Lasters zu illustrieren. Es handelt
sich bei Chrysis insgesamt um eine Sittenkomödie über die menschlichen Schwächen
wie Habgier oder Wollust, die der Autor karikaturhaft in einer Art Katalog der sün-
digen Leidenschaften darlegt, wobei er dem menschlichen Leichtsinn ein besonde-
res Augenmerk schenkt.
So erklärt z.B. Dyophanes in Szene I, was für ein angenehmes Leben er und
Theobolus als Priester führen, da ihnen ihr Zölibat sogar ein freieres Liebesleben als
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549