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Der italienische Humanismus in
Österreich58
Stadtarzt in Portogruaro, Cividale und Udine, wo er 1447 anscheinend Empörung
auslöst, als er vor der Pest nach Spilimbergo flüchtet, anstatt die Kranken zu besu-
chen. Der in San Daniele del Friuli aufbewahrte Codex 44 der Handschriften des
Humanisten Guarnerio d’Artegna († 1466) enthält auf fol. 261r bis 269v schriftliche
Ratschläge bezüglich Lebensführung für den an Gelenksschmerzen leidenden Alb-
recht VI., den der Arzt vermutlich persönlich nie gesehen hat.
An der juridischen Fakultät wird 1401–2 ein gewisser Johannes de Garsonibus aus
Venedig zum lector decretalium berufen. Enea Silvio Piccolomini hingegen empfiehlt
1443 im Rahmen seiner Reformbestrebungen für die Universität vergeblich die Beru-
fung seines Lehrers Mariano de’ Sozzini (1397/1401–1467) 91 aus Siena nach Wien.
Francesco Todeschini-Piccolomini (1439 –1503), der für wenige Monate als
Papst Pius III. in die Kirchengeschichte eingehende Neffe von Enea Silvio Picco-
lomini, immatrikuliert in erstaunlich jungen Jahren 1451 an der Universität Wien,
bleibt aber bis höchstens 1453. Er wird 1466 –86 wieder in intensiven Kontakt mit
der österreichischen Politik treten, nämlich als führendes Mitglied der päpstlichen
Kommission zur Heiligsprechung von Markgraf Leopold III.
Der einflussreichste italienische Humanist in Österreich nach Enea Silvio Pic-
colomini ist ohne Zweifel Lorenzo Guglielmo Traversagni (Guglielmus Savonensis,
1425–1503) aus Savona:92 Er dürfte nach einem Studium in Padua und Bologna im
Sommer 1452 nach Wien gekommen sein, um sich an dieser Universität um einen
Lehrstuhl für Studia humanitatis zu bemühen, was ihm trotz der Unterstützung von
einheimischen Freunden aus dem akademischen Milieu nicht gelingt. In Wien ent-
stehen sein Modus epistolandi, ein Handbuch der Briefschreibekunst, das in seinem
Widmungsbrief das anhaltende Interesse in Österreich an den Briefen Piccolominis
bezeugt, und sein religiös-kontemplativer Dialogus an mortui sint lugendi an non,93
welcher aus Anlass des plötzlichen Ablebens von Johannes Schwarz, Chorherr in
Klosterneuburg und Freund des Autors, die bereits in Zusammenhang mit der
Petrarca-Rezeption erwähnte Todesproblematik im Frühhumanismus wieder auf-
greift.94 Unter dem Einfluss von Traversagni beginnen sich jedenfalls die Ideen und
91 Mariano Sozzini d. Ä. wirkt als Lehrer an der Universität Siena von 1427 bis zu seinem Tod, unterrichtet
Piccolomini mit Unterbrechungen 1423–31 und gilt als Begründer einer ganzen Familie von Rechtsge-
lehrten (sein Sohn Bartolomeo, sein Enkelsohn Mariano sowie dessen Söhne Alessandro und Celso).
92 José Ruysschaert: Lorenzo Guglielmo Traversagni de Savone (1425–1503). Un humaniste franciscain
oublié. In: Archivium Franciscanum Historicorum 46 (1953), S. 195–210. – Giovanni Farris: Umanesimo
e religione in Lorenzo Guglielmo Traversagni (1425–1503). Mailand 1972.
93 Hermann Maschek: Zur Geschichte des Humanismus im Franziskanerorden. In: Archivium Francisca-
num Historicorum 28 (1935), S. 574–579.
94 Vgl. Christian Kiening: Schwierige Modernität. Der ‚Ackermann‘ des Johannes von Tepl und die Ambi-
guität historischen Wandels. München 1998, S. 446 –459 und S. 579 – 604 (Text des Dialogus).
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549