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Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in
Österreich80
Rigorosität in der theoretischen Konzeption einerseits und der relativen Freiheit in der
praktischen Anwendung andererseits: im Schutz der poetologischen Sicherheit eines
absoluten Modells, das im strikten Bezug auf den Canzoniere und den sich aus die-
ser Vorlage ergebenden, möglichen Permutationen besteht, kann sich die individuelle
Kreativität in einer gelenkten, aber nicht erzwungenen Weise entfalten und andere
Kenner dieses literarischen Spiels bzw. Mitspieler mit trickreichen Zügen überraschen.
Petrarkisten scheinen in ihrer Tätigkeit daher vergleichbar mit Schachspielern, die
einzelne Zugfolgen oder ganze Strategien aus dokumentierten Partien erlernen, um
sie in mehr oder weniger anspruchsvollen Varianten dann nachzuspielen.
Gerade die Technik und die Themen des italienischen Petrarkismus und die von
der italienischen Unterweisungsliteratur wie Baldassare Castigliones Libro del corte-
giano (1528) geprägten Aufführungsorte, nämlich die Höfe des Provinzadels oder die
nobilitierten Patrizierhäuser der Städte, stellen eine typische, ineinander verzahnte
Neuerung dar, wie das Feldman148 am Beispiel von Venedig dargelegt hat. Auch der
bisher in der literaturgeschichtlichen Forschungsliteratur weitgehend vernachlässig-
ten Rezeption von italienischer Lyrik über deren Vertonungen kommt daher gerade
im ausgehenden 16. Jahrhundert eine umso größere Bedeutung zu, als hier eine so-
zialgeschichtliche Verknüpfung von Weltanschauung, Verhaltensmodellen, Litera-
tur und Musik aus dem Ursprungsland (vorwiegend Italien) in das Aufnahmegebiet
(in diesem Fall in die österreichischen Länder) übertragen wird.
Möglicherweise ist das so deutlich hervortretende Interesse an den neuen mu-
sikalischen Formen aus Italien und die intensive Patronanz durch die städtischen
und provinzadeligen Führungsschichten des Landes gerade wegen ihres Bezuges zur
Gesellschaftskultur ein noch gewichtigeres Argument als für die politisch führenden
Höfe, von welchen die eben genannte Peripherie bereitwillig die sich abzeichnenden
Tendenzen übernimmt und dann sogar beschleunigt. Ohne Zweifel bietet gerade
der literarische Petrarkismus des 16. Jahrhunderts die ideale Ausgangsbasis für diese
Verbindung von Gesellschaftskultur, Literatur und Musik, weil darin Funktion und
Darstellungsweise des literarischen Textes in der Öffentlichkeit auf eine möglichst
breite Rhetorisierung von (realen oder fiktiven) Empfindungen ausgerichtet sind.
Was Erika Kanduth bezüglich der Entstehung des deutschen Petrarkismus feststellt,
gilt sicher sowohl für das Ursprungsland Italien als auch für die Rezipienten nördlich
der Alpen:
148 Martha Feldman: City Culture and the Madrigal at Venice. Berkeley / Los Angeles / London 1995.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549