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85Petrarkismus
und protestantischer Adel
Aus den Restbeständen der Seisenegger Bibliothek, welche Catharina Regina 1678
bei ihrer aus konfessionellen Gründen auferlegten Emigration156 nach Nürnberg zu-
rücklassen muss, schließt Cerny auf die Präsenz wichtiger italienischer Werke, wo-
runter hier nur Tassos Gerusalemme liberata und Guarinis Pastor fido von größerem
Interesse scheinen.
Welche persuasive Kraft die österreichischen Adeligen dieser Zeit der italieni-
schen Sprache beimessen, erhellt ein Detail aus dem Privatleben von Catharina Re-
gina: ihre 1664 in Nürnberg geschlossene Ehe gilt wegen des zu engen Verwandt-
schaftsverhältnisses (sie heiratet ihren um fast drei Jahrzehnte älteren Stiefonkel) in
Österreich als blutschänderisches Konkubinat, wofür Hans Rudolph in Wien von
Juli 1665 bis Januar 1666 inhaftiert wird. Nach einer ersten Bittschrift in deutscher
Sprache, welche zu keinem Erfolg führt, wendet sich Catharina Regina schließlich
im Oktober 1665 mit je einem italienischen Schreiben an die Kaiserin-Witwe Eleo-
nora und an Leopold I.,157 was schließlich zur Freilassung ihres Mannes führt. Über
die mit rhetorischen Floskeln und kunstvollen Stilfiguren überaus geschmückten,
für den barocken Sprachgebrauch durchaus typischen Briefe schreibt sie selbst an
den eben aus der Haft entlassenen Hans Rudolph: „Die Schreiben belangend Muß
poetisch Zu Reden Eine Große Gnadenkrafft darinnen seyn […]“, welche die Ver-
fasserin auch auf ihren Sprachgebrauch des Italienischen zurückführt.
Tatsächlich verfasst Kaiser Leopold I. einen nicht unerheblichen Teil seiner Pri-
vatkorrespondenz auf Italienisch: „Die Schreiben wurden üblicherweise in Deutsch,
Lateinisch, Italienisch und eventuell in Spanisch geschrieben, wobei der Kaiser in
den Briefen an einige böhmische Adelige gelegentlich auch einfache tschechische
Phrasen einfügte.“158 De Bin erwähnt ausdrücklich den regelmäßigen Briefverkehr
des Kaisers auf Italienisch mit dem Kapuzinerpater Marco d’Aviano (vgl. das fol-
gende Kapitel) und dem Minoritenpater Ippolito Ippoliti da Pergine.
Voll der Anerkennung schreibt wenige Jahrzehnte später Giovan Mario Crescim-
beni in seiner Literaturgeschichte, dass die italienische Sprache unter Leopold I. am
Kaiserhof zu ihrem höchsten Glanz aufgestiegen sei:
Leopoldo, che benignamente riguardandola, e perfettamente professandola, l’ha in-
nalzata, e messa in sommo pregio nella sua Imperial Corte, ed in tutte le più riguar-
156 Kaiserin Eleonora und Catharina versuchen sich anscheinend wechselseitig vergeblich zur Konversion in
die jeweils andere Glaubensgemeinschaft zu bewegen.
157 Beide reproduziert und ins Deutsche übersetzt in Cerny: Der Einfluss, S. 292–303 und Tafel 14–23.
158 Petr Mat’a / Stefan Sienell: Die Privatkorrespondenzen Kaiser Leopolds I. In: Josef Pauser / Martin
Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert).
Ein exemplarisches Handbuch. Wien / München 2004, S. 837–848; hier S. 838.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549