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Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen
Frühaufklärung112
Diese Laienbruderschaften dienen als gesellschaftlich institutionalisierte Instru-
mente zur größeren Verbreitung und Intensivierung der römisch-katholischen
Frömmigkeitspraktiken, zur Verbesserung der moralischen Sitten der oft protes-
tantischen Stadtbewohner und der vielfach ungebildeten Landbevölkerung sowie
zur Einführung eines durch private und öffentliche Gebete und religiöse Übungen
strukturierten Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresablaufs.
Da viele der mittelalterlichen Bruderschaften durch die Reformation verschwun-
den sind, entstehen im Laufe der Gegenreformation unter Einwirkung der italieni-
schen Orden zahlreiche neue Vereinigungen, die teilweise sogar als Filialen italie-
nischer Erzbruderschaften einzustufen sind. Es wird daher in den Berichten immer
wieder von so genannter Bruderschaftszier nach welscher Manier gesprochen, was
sich auf die Votivbilder, die zu tragende Bekleidung sowie die spezifischen Fahnen,
Stangen, Laternen u.ä. bezieht, mit denen sich die Mitglieder identifizieren sollen:
„So sehen wir in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts überall neues, frisch pul-
sierendes katholisches Leben in den Bruderschaften.“219 Unter den im Umkreis
diverser Kirchen bzw. in den Pfarren gegründeten Korporationen seien hier nur
die Sakramentsbruderschaft von 1670, die Bruderschaft des allerheiligsten Blutes
Christi von 1672 und die Bruderschaft des Heiligen Leopold erwähnt, weil unter ih-
ren Mitgliedern zahlreiche Personen des Kaiserhofes, sowohl Angehörige der Adels-
familien als auch Künstler und Dienerschaft, vertreten sind.
Die größte Gründungswelle von Bruderschaften in den österreichischen Län-
dern dürfte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgt sein, so dass um 1750
Salzburg und die habsburgischen Länder von einem so gut wie flächendeckenden
Netz derartiger religiöser Vereinigungen überzogen sind. In Niederösterreich z.B.
zählt man 1771 nicht weniger als rund 690 Bruderschaften, davon 166 allein in
Wien.220 Auf dem Gebiet des Königreichs Ungarn hat die Forschung für den Zeit-
raum zwischen 1563 und 1780 bisher etwa 1.300 Bruderschaften erfasst, und in der
Erzdiözese Prag dürfte es um 1770 mindestens 500 davon gegeben haben.221
Ein spanischer Jesuit namens Michael Spezius gründet in Wien 1565 nach dem
ihm in Erinnerung gebliebenen Muster einer in Sizilien entstandenen Vereinigung
Die Laienbruderschaften der Barockzeit in den böhmischen und österreichischen Ländern. In: Leeb /
Pils / Winkelbauer (Hg.): Staatsmacht und Seelenheil, S. 141–160; hier S. 143. Vgl. auch John Patrick
Donnelly / Michael W. Maher (Hg.): Confraternities and Catholic Reform in Italy, France and Spain.
Kirksville 1999. – Barbara Wisch (Hg.): Confraternities and the Visual Arts in Renaissance Italy. Rituals,
Spectacle, Image. Cambridge 2000.
219 Tomek: Das kirchliche Leben und die christliche Charitas in Wien, S. 306.
220 Vgl. Thomas Aigner (Hg.): Aspekte der Religiosität in der Frühen Neuzeit. Sankt Pölten 2003.
221 Winkelbauer: Volkstümliche Reisebüros oder Werkzeuge obrigkeitlicher Disziplinierung, S. 148.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549