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215Die
Funktion der kaiserlichen Hofdichter
1. Sie gehören größtenteils dem Zeitalter des Barock an, das in einer philologischen
Tradition, die weitgehend auf den ästhetischen Prinzipien des 19. Jahrhunderts
beruht, von vornherein gering geschätzt wird; die heute noch einflussreichen Ur-
teile von Benedetto Croce446 und seinen Schülern (vor allem Francesco Flora)
stufen selbst die hervorragendsten barocken Autoren wie etwa Giambattista Ma-
rino als formal perfekte Stilisten, aber nicht als Dichter ein.
2. Die kaiserlichen Hofdichter erfüllen eine Funktion, die von der romantisch ge-
prägten, modernen Vorstellung des Künstlertums weit entfernt ist: Sie verfassen
Auftragswerke zum Lob von Herrschern. Nur wenigen gelingt es, unter histo-
risch bzw. sozial wesentlich besseren Voraussetzungen, sich über diese unterge-
ordnete Stellung zu erheben: z. B. Luigi Pulci und Agnolo Poliziano im Dienste
der Medici, Ludovico Ariosto und Torquato Tasso am Hofe der Familie Este
oder Giambattista Marino am französischen Hof.
3. Sie pflegen im 17. und 18. Jahrhundert vorwiegend eine literarische Gattung, der
von der Literaturgeschichte eher nur funktionaler Wert beigemessen wird – das
Opernlibretto bzw. andere Textvorlagen für Musikstücke oder literarische Bei-
träge zu höfischen Festen.
4. Die Poeti cesarei schreiben im deutschen Sprachraum auf Italienisch und entspre-
chen dadurch nicht den Vorstellungen von einer Nationalliteratur, so wie sie seit
dem Beginn des 19. Jahrhunderts definiert wird, nämlich als Identifikationspoten-
tial einer Kulturgemeinschaft. Erika Kanduth stellt für die Zeit vor Apostolo
Zeno und Pietro Metastasio daher mit Recht fest: „Die literarische Aktivität
am Wiener Kaiserlichen Hof nimmt eine Sonderstellung ein, die weder in der
italienischen noch in der deutschen Literaturgeschichte gebührend berücksich-
tigt wird.“447 Das bedeutet, dass diese Autoren lediglich in der regional orien-
tierten italienischen Literaturgeschichtsschreibung vor der nationalen Einigung
und dann meist in spezifisch österreichischen Darstellungen des ausgehenden
19. Jahrhunderts448 Erwähnung und Beachtung finden.
446 Benedetto Croce: Saggi sulla letteratura italiana del Seicento. Bari 1911. – Benedetto Croce: Storia
dell’età barocca in Italia. Bari 1929.
447 Erika Kanduth: Italienische Dichtung am Wiener Hof im 17. Jahrhundert. In: Alberto Martino (Hg.):
Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahr-
hundert. Amsterdam 1990, S. 171–207; hier S. 171.
448 Markus Landau: Die italienische Literatur am österreichischen Hof. Wien 1879. – Johann Willibald Nagl /
Jacob Zeidler (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Handbuch zur Geschichte der deutschen
Dichtung in Österreich-Ungarn. Wien 1899. An diese Zielsetzung knüpft wieder an: Herbert Zeman (Hg.):
Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750 –1830). Graz 1979.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549