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Die italienische Aufklärung in
Österreich388
Zu diesen internen literarischen Auseinandersetzungen über Stil und Sprache
kommt als weiteres Element der kulturellen Auseinandersetzung das Vordringen ei-
nes neuen staatspolitischen Modells hinzu, dessen Ursprung ebenfalls in Frankreich
zu finden ist: Fénelon (1651–1715) vertritt in seinem 1699 für den französischen
Thronfolger geschriebenen Erziehungsroman Les aventures de Télémaque die Ideen
eines aufgeklärten Absolutismus, laut welchen die Herrschaft eines Fürsten sich
nicht mehr aus der besonderen Gnade Gottes ableitet, sondern die persönlichen
Qualitäten des Herrschers die Grundlage seiner Position bilden sollen. Obwohl Te-
lemachos, der Sohn von Odysseus, im Laufe seiner Abenteuer als strahlender Sieger
aus einem Wettbewerb um die Krone von Kreta hervorgeht und ausdrücklich we-
gen seiner Vorzüge zum Herrscher gewählt werden soll, zieht er aus patriotischen
Gefühlen die Heimkehr nach Ithaka und die Nachfolge seines wieder gefundenen
Vaters vor. Der ideale Herrscher erscheint hier nicht mehr als der Vertreter einer
von Gott begnadeten Familie, sondern als ein seine Untertanen an Tugenden und
Intelligenz überragende Persönlichkeit, welche ihre Neigungen in den Dienst einer
patriotischen Verpflichtung stellt.
Obwohl in den Bildenden Künsten noch bis zur Mitte des Jahrhunderts eine be-
eindruckende Entfaltung eines klassizistisch abgewandelten Barocks zu beobachten
ist (z.B. beim Belvedere in Wien oder bei den großen Klosterbauten in Niederöster-
reich), finden auch dort schon in der Konzeption der Gebäude moderate frühaufklä-
rerische Gedanken Eingang, was etwa die Errichtung der Hofbibliothek unter Karl
VI. mit seiner Statue als rex litteratus unter der Kuppel des Prunksaales illustriert.
Selbst symbolträchtige Kirchenbauten, wie die am 22. Oktober 1713 zur Abwen-
dung der Pestepidemie gelobte Stiftung der dem heiligen Carlo Borromeo geweihte
Karlskirche in Wien, dienen jetzt entschieden weniger einer gegenreformatorischen
Missionierung als der Verkündung einer imperialen Idee. Die den gleichnamigen
Platz beherrschende imposante Kirche, deren Fertigstellung fast die gesamte Regie-
rungszeit von Karl VI. in Anspruch nimmt, verknüpft ihren italienischen Schutzhei-
ligen mit der emblematischen Bedeutung dieses Namens für das Heilige Römische
Reich und verkörpert die politische und strategische Konzeption eines kontinental-
europäischen Staatengebildes unter einem Novus Carolus:
Ihr künstlerisches und geistiges Programm, an dem kein geringerer als Gottfried
Wilhelm Leibnitz mitgewirkt hat, ist Ausdruck aller jener geistigen und politi-
schen Ideen, die den Kaiser und seine Anhänger beherrschten. Man glaubt an
ein Wiedererwachen des christlichen Imperium Romanum, des abendländischen
Kaisertums Karls des Großen. Zugleich war die Wiederherstellung von Karls V.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549