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Von der Spätaufklärung zur
Frühromantik492
Abgesehen von Metastasios Musikdramen kommen immer weniger Werke zu den
üblichen Terminen des höfischen Festkalenders zur Aufführung. Dazu gehört z.B.
die mythologische Serenade Tetide von Giovanni Ambrogio Migliavacca, dem Hof-
dichter des Königs von Sachsen, die in der Vertonung durch Gluck am 10. Oktober
1760 in der Hofburg anlässlich der bereits bei Metastasio erwähnten Hochzeit von
Erzherzog Joseph mit Isabella von Bourbon-Parma dargeboten wird. Zu dem selben
Anlass wird Venere placata. Componimento drammatico825 von Marco Coltellini mit der
Musik von Carlo Antonio Campioni (1720–88; eigentlich: Charles Antoine Cam-
pion) gespielt.
Der 1719 in Livorno geborene Coltellini legt damit den Grundstein für seine
Karriere in Wien, die 1763 mit der Aufführung von Ifigenia in Tauride. Dramma per
musica in der Vertonung von Tommaso Traetta (1727–79) einen ersten Höhepunkt
erlebt.826 Als Hofdichter neben Metastasio und in freundschaftlichem Kontakt mit
Ranieri de’ Calzabigi verfasst Coltellini ab 1765 eine Reihe von Libretti für Gluck (Il
Telemaco, 1765), für Mozart (La finta semplice, 1769) und für Antonio Salieri (Armida,
1771). 1772 beendet eine Affäre um eine angebliche Satire auf die Kaiserin abrupt
Coltellinis Tätigkeit in Wien und zwingt ihn zu einem Wechsel an den russischen
Hof in Sankt Petersburg, wo er 1777 stirbt. Neben der Textvorlage für Haydns
L’infedeltà delusa (Esterháza 1773)827 verdienen vor allem Coltellinis Bearbeitungen
verschiedener Goldoni-Libretti Erwähnung, weil sie in gelungener Weise das vene-
zianische Unterhaltungstheater mit der neuen Form der höfischen Repräsentation
verbinden: Mozarts La finta semplice (Salzburg 1769) und Gassmanns La contessina,
die im September 1770 in Mährisch-Neustadt während der Begegnung von Joseph II.
mit Friedrich II. von Preußen aufgeführt wird.
Der Höhepunkt in Coltellinis Schaffen am Kaiserhof ist ohne Zweifel Il Telemaco
o sia L’isola di Circe. Dramma per musica, das in der nur fragmentarisch überliefer-
ten Vertonung von Gluck erstmals am 30. Januar 1765 im Burgtheater anlässlich
der Feiern zur Hochzeit von Joseph II. mit Maria Josepha von Bayern aufgeführt
wird.828 Wie schon der Titel ankündigt, handelt es sich dabei um eine Erweiterung
des erstmals 1718 in Rom mit der Musik von Alessandro Scarlatti aufgeführten Li-
brettos von Carlo Sigismondo Capece (1652–1728), bei deutlicher Nachahmung
der stilistischen Techniken von Metastasio und unter Berücksichtigung des an einer
825 Nicht zu verwechseln mit Venere placata. Drama per musica von Claudio Nicola Stampa, das in der Verto-
nung von Giuseppe Nicola Alberti 1735 in Kremsier oder Olmütz aufgeführt wird.
826 Das Werk wird 1784 im Kärtnertortheater in Wien und 1786 in Esterháza wiederholt.
827 Vgl. Albert Gier: Joseph Haydn und die Libretti seiner Opern. Ein kritischer Forschungsbericht. In:
Quetin / Gruber / Gier (Hg.): Joseph Haydn und Europa vom Absolutismus zur Aufklärung, S. 9 –27.
828 Vgl. Lucia Moratto: Il Telemaco o sia L’isola di Circe di Coltellini-Gluck. Diss. Cremona 1992.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549