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Von der Spätaufklärung zur
Frühromantik514
Zwei Jahre vor Castis Abgang kommt ebenso wie der oben erwähnte Clemente
Bondi auch der aus Villalbese bei Como stammende Giuseppe Carpani (1752–1825)
im Gefolge von Erzherzog Ferdinand kurz nach Wien, um dann nach 1797 Zen-
sor und Theaterdirektor in Venedig zu werden. Dem österreichischen Publikum
ist sein Name durch die Aufführung von Nina ossia La pazza per amore899 1791 in
Prag, 1794 in Laibach und 1794–96 in Wien bekannt. Das Libretto ist eine für seine
Entstehungszeit wohl typische Collage aus Übersetzung, Ergänzungen und Über-
arbeitungen: Für das Theater der Villa Reale in Monza erstellt Carpani 1788 eine
italienische Fassung des Einakters Nina, ou La folle par amour, comédie mêlée d’ariettes
von Benoît-Joseph Marsollier (1750–1817), der im Mai 1786 in Paris mit der Musik
von Nicolas-Marie Dalayrac (1753–1809) erstmals gespielt und mit Begeisterung in
England und Deutschland aufgenommen wird. Für eine Aufführung am Hof von
Caserta fügt der dortige Intendant Giovanni Battista Lorenzi drei Abschnitte hinzu
und lässt diese Fassung von Paisiello vertonen.900 Für die öffentlichen Darbietungen
in Neapel 1789 – 90 wird das Libretto um zusätzliche Dialoge und durch Hinzufü-
gung weiterer Nummern von Paisiello erweitert und in zwei Akte unterteilt. Für
eine dritte Fassung dieses inzwischen äußerst erfolgreichen Werkes in Parma 1794
und in Florenz 1795 werden die Prosateile in Versrezitative umgearbeitet. Darüber
hinaus veröffentlicht Lorenzo Da Ponte 1790 in Wien seine Version von Nina os-
sia La pazza per amore. Dramma giocoso, das mit der Musik von Paisiello und Joseph
Weigl gespielt wird, ohne Carpanis und Lorenzis Vorlage zu erwähnen.
1805 lässt sich Carpani endgültig in Wien nieder, wo er 1825 stirbt. Dieser letzte
Abschnitt seines Lebens ist jedoch Gegenstand des zweiten Teils dieser Literaturge-
schichte.901
Die beherrschende Figur des italienischen Librettos in den Jahren zwischen dem
Tod von Maria Theresia 1780 und den Revolutionskriegen ab 1792 ist wohl Lorenzo
Da Ponte, dessen erste Bestellung in Wien 1783 zeitlich mit der Wiederbelebung
der italienischen Oper am Burgtheater zusammen fällt.902
Der 1749 als Emanuele Conegliano in Cèneda (dem heutigen Vittorio Veneto)
in eine jüdische Familie geborene Lorenzo Da Ponte wird anlässlich der zweiten
899 Die Zuschreibungen der verschiedenen Libretti mit diesem Titel an Lorenzi, Lorenzo Da Ponte und
Giuseppe Carpani sind nicht immer eindeutig. ^
900 Eine Textedition dieser Version findet sich in Gronda / Fabbri (Hg.): Libretti d’opera italiani, S. 843–884.
901 Vgl. auch Gualtiero Boaglio: Note su Il fiume rappacificato, cantata inedita di Giuseppe Carpani. In: Stu-
dien zur Musikwissenschaft Bd. 38 (1987), S.103–116, und ders.: L’ameno Salieri e il virtuoso Mozart.
Riflessioni intorno ad una lettera di Giuseppe Carpani. In: Studien zur Musikwissenschaft Bd. 40 (1991),
S. 23–39.
902 Vgl. Werner Hanak (Hg.): Lorenzo Da Ponte – Aufbruch in die Neue Welt. Wien 2006.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549