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1.4. Wie gefährlich ist Literatur?
Geht man mit Stephen Greenblatt davon aus, dass Texte eine „cultural circula-
tion of social energy“59 bewirken, so trachtet Zensur danach, eben diese Zirku-
lation zu verhindern. Kommunikation via Lektüre ermöglicht die Fortpflanzung
von Gedanken, unter negativen Vorzeichen betrachtet: die Infektion des Den-
kens, die zu Nachahmung und damit zu Handlungen führt, die als verderblich
für das Individuum oder die Gesellschaft angesehen werden. Versuche zur Ver-
hinderung von ,Ansteckung‘ tauchen im 18.
Jahrhundert auch in anderen Berei-
chen auf, bei der Bekämpfung von Seuchen, aber auch im Umgang mit Wahn-
sinn und Verbrechen. Stets sollte die Internierung und Unterbindung von
Kontakten das Übel lokalisieren und eindämmen.60 Tatsächlich war die Bücher-
zensur schon im 16.
Jahrhundert auf derselben organisatorischen Ebene wie die
Infektionsordnung für Fleisch, Mehl und andere Nahrungsmittel angesiedelt.61
Bücher galten als prinzipiell gefährlich. Bezeichnend für diese lang anhaltende
Einschätzung der Buchbranche ist der Umstand, dass literarische und Kunstge-
genstände in der Handelsstatistik des Vormärz an vorletzter Stelle geführt wur-
den – zwischen „Zündwaren“ und „Abfällen“.62 Laut der vergleichsweise libera-
len Gewerbeordnung von 1859 mussten Buchhändler noch immer eine
Konzession erwerben – zusammen mit anderen ,heiklen‘ Gewerben wie Gast-
wirten, Feuerwerkskörper- und Giftverschleißern.63 Im 19. Jahrhundert wurde
die schriftliche (Presse, Druckschriften) und auch die direkte Kommunikation
verdächtiger Personengruppen behindert, letztere etwa in Form des Versamm-
lungsverbots, der Überwachung und gegebenenfalls Aufhebung von Vereinen
und geheimen Gesellschaften (wie zum Beispiel der Wiener Ludlamshöhle oder
diversen Freimaurerlogen) und des Wanderverbots für Handwerker.
59 Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renais-
sance England. Berkeley, Los Angeles: University of California Press 1988, S. 13.
60 Vgl. Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der
Vernunft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996, und Ders.: Überwachen und Strafen. Die Geburt
des Gefängnisses. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994.
61 Vgl. Grete Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jahrhundert. Das
Problem der Zensur in der theresianischen Reform. Wien: Verlag für Geschichte und Politik
1970, S. 45.
62 Siehe Norbert Bachleitner/Franz
M. Eybl/Ernst Fischer: Geschichte des Buchhandels in Öster-
reich. Wiesbaden: Harrassowitz 2000, S. 191.
63 Kaiserliches Patent vom 20. December 1859, womit eine Gewerbe-Ordnung für den ganzen
Umfang des Reiches, mit Ausnahme des venetianischen Verwaltungsgebietes und der Militär-
grenze, erlassen, und vom 1. Mai 1860 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird. In: Reichs-
Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1859. Wien: K.
k. Staatsdruckerei 1859,
S. 619–650. 1.4. Wie gefährlich ist Literatur? 33
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510