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4 2 3 Organisation der Zensur in Lombardo-Venetien 1814–1816: Theoretische
Grundlagen
Bereits ab Juli 1814 war die Rede davon, erneut ein Bücherzensuramt in Mailand
einzurichten, doch bedurfte es dafür einiger Organisation. Zwar stand zum Teil
die Infrastruktur der napoleonischen Direzione Generale della Stampa e Libreria
zur Verfügung,80 aber die praktische Arbeit erforderte einige zusätzliche Maß-
nahmen. Ein erster Schritt war die Aufhebung der freien Buchimporte aus Frank-
reich.81 Ein weiterer dringlicher Punkt betraf den Verkauf von Büchern, die aus
Sicht der Behörden verfänglich oder gefährlich waren. Spätestens in den Jahren
seit 1806 war die italienischsprachige Buchproduktion nur beachtet worden,
sofern es sich dabei um Importe in die habsburgischen Länder handelte. Da die
Anzahl potentieller Leser italienischsprachiger Texte gering war, darf man davon
ausgehen, dass es sich dabei nur um wenige Titel gehandelt hatte. Für eine funk-
tionierende Zensur, die nicht allein die Veröffentlichung neuer Manuskripte zu
regeln hatte, sondern auch die Verbreitung bereits gedruckter Schriften, war also
ein aktuelles Verzeichnis verbotener italienischsprachiger Bücher erforderlich.
Zu diesem Zweck wurde am 16.8.1814 eine Kommission einberufen, der es inner-
halb eines einzigen Monats gelang, einen solchen Katalog, den 1815 gedruckten
Catalogo de’ libri italiani o tradotti in italiano proibiti negli Stati di Sua Maestà
l’Imperatore d’Austria (Venezia 1815), der 732
Titel enthält, zu kompilieren.82 Im
Rahmen dieser Tätigkeit wurden, wie die Bibliothekare Gaetano Bugatti (Bib-
lioteca Ambrosiana) und Palamede Carpani (Biblioteca di Brera) im Auftrag der
Kommission schreiben, „sorgfältigste Untersuchungen in Bibliotheken, auch
privaten, in Katalogen, Verzeichnissen, und bibliographischen Journalen“ durch-
geführt.83 Es handelt sich also um eine umfassende Sichtung und ‚Rezensur‘ aller
italienischen Veröffentlichungen der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte. Dass diese
Vorgehensweise nicht unumstritten war, zeigt unter anderem, dass sich schon
im Juli 1816 der oberste Zensor Zanatta bei Graf Saurau beschwerte, dass dieser
80 Im Juli 1814 wird sogar das (händisch korrigierte) Briefpapier des Regno d’Italia weiterverwen-
det (vgl. ASM, AdG, Studi p. m. 87); an Personal wurden laut einer Übersicht vom 6.1.1815
(ASM, AdG, Studi p. m. 87, Carteggio generale) sowohl Zensoren als auch Revisoren direkt
übernommen, was auch für einige Provinzzensoren nachweisbar ist.
81 Vgl. das am 20.8.1815 erlassene Einfuhrverbot (ASM, AdG, Studi p. m. 74).
82 Vgl. die wöchentlichen Sitzungsprotokolle bzw. den Endbericht vom 16.9.1814 in ASM, Pre-
sidenza di Governo 7. Im Zusammenhang mit diesem Katalog spricht Berti: Censura e circo-
lazione, S.
13, unverständlicherweise von „oltre 950 titoli.“ Auf den ersten Blick zählt man zwar
747
Einträge, von diesen sind aber 15 durch Querverweise verdoppelt; ein paar weitere Quer-
verweise (vor allem sub lit. P) führen jedoch (irrtümlich) zu keinem weiteren Eintrag.
83 ASM, Presidenza di Governo
7, Bugatti/Carpani an Bellegarde vom 16.9.1814: „le più diligen-
ti indagini nelle biblioteche anche private, nei cataloghi, negl’indici, e nei giornali bibliografi.“
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222 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510