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Unschicklich musste schließlich auch das am 20.
August 1558 durchgeführte,
fiktive Leichenbegängniß Karls
V. „bei lebendem Körper, mit offenen Augen“,249
erscheinen, das mit Isabellas „Todtengericht“ auf einer Pyramide, bei dem jeder
seine Meinung über ihr Leben sagen kann, parallel geführt wird. Anlässlich die-
ses Totengerichts wird sie vom Erzähler schließlich sogar zur Heiligen ernannt.
6 5 5 E T A Hoffmann
Von den Lebens-Ansichten des Katers Murr, Hoffmanns letztem, unvollendet
gebliebenen Roman, wurde erst der zweite, 1822 erschienene Band verboten.
Wir können uns bei der Suche nach Verbotsgründen also auf den dritten und
vierten Teil des Romans beschränken. Sicher bot auch der Kater-Murr-Erzähl-
strang den Zensoren Stoff zum Nachdenken, weil die studentischen Umtriebe
gerade ein für den Staat aktuelles Bedrohungspotential darstellten. Zum Beispiel
konnte der Angriff des Hofhundes Achilles und der Spitze auf die Katzburschen
(im dritten Abschnitt) als Hinweis auf die Verfolgung der Studenten durch die
Polizei interpretiert werden. Viel eher aber war der höfische bzw. Kreisler-Er-
zählstrang ausschlaggebend für das Verbot, wobei weniger die schlüpfrigen Epi-
soden mit der Frau Professorin und dem Baron Alzibiades von Wipp, die Hin-
weise auf Angela, den illegitimen Spross des Fürstenhauses, oder der geistig
minder bemittelte Prinz Ignaz und die hysterische Prinzessin Hedwiga als viel-
mehr die Szenen in der Abtei entscheidend gewesen sein dürften.
Da ist einmal die Figur des Pater Hilarius, der den lieben Gott einen braven
Mann sein lässt und schon einmal „nach dieser jener hübschen Dirne unten im
Schiff“250 schielt, vor allem aber übermäßig dem Wein zuspricht. Die Kritik am
Klosterleben nimmt auch weniger gemütliche Formen an, wenn vom „mönchi-
schen Ungeschmack“ die Rede ist, der sich in der überladenen Dekoration der
Wohnräume des Abts äußert; oder wenn demselben, einem „Zögling der Pro-
paganda in Rom“, Opportunismus bei seinen Entscheidungen nachgesagt wird,251
insbesondere wenn er Pater Cyprianus, den suspekten Emissär des Papstes, emp-
fängt. Gegen Ende des vierten Abschnitts verschärft sich der Ton, wenn Kreisler
einsieht, dass der Abt, der ihn früher im Kloster halten wollte, „lügnerische Gau-
kelei trieb und daß alle Gründe, die er damals anführte, um ihn zum Eintritt ins
Kloster zu bewegen, ebenso nur einer versteckten Absicht zum Vorwand dienen
249 Ebd., S. 172 u. 171.
250 E.
T.
A. Hoffmann: Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des
Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Hg. v. E. T. A. Hoffmann.
Zweiter Band. Berlin: Ferdinand Dümmler 1822, S. 78.
251 Ebd., S. 119 u. 122.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
334 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510