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6 9 3 Honoré de Balzac
Die Stoffe aus der Gegenwart behandelnde Dramatik vertritt hier Honoré de
Balzacs Vautrin,388 ein Stück, das im selben Monat wie Sands Mississipiens, näm-
lich im Juli 1840, mit dem Urteil ,erga schedam‘ belegt wurde. Die titelgebende
Hauptfigur ist zum Zeitpunkt der Erstaufführung des Stückes bereits aus dem
Roman Le père Goriot (1834) bekannt, sie wird ferner in Illusions perdues (1837–
1843) und Splendeurs et misères des courtisanes (1838–1847) vorkommen. Der
aus der Verbannung unerlaubt zurückgekehrte Vautrin ist ein ehemaliger Bag-
nosträfling, der sich zwar in kriminelle Machenschaften verwickelt, aber damit
(zumindest seiner Ansicht nach) Gutes tut und für Gerechtigkeit sorgt.
Das Stück verwendet das um die Jahrhundertmitte so beliebte Motiv des unter
falscher Identität aufwachsenden Kindes, dessen wahre Abstammung am Ende
gelüftet wird. Die Beliebtheit dieses Motivs um die Mitte des 19. Jahrhunderts
wird auf den Zerfall des Ancien Régime und die allseitige soziale Mobilität zu
dieser Zeit zurückgeführt, durch die viele Menschen sozialen Abstieg erfahren
(Aristokraten, aber auch kleinbürgerliche Familien, etwa Handwerker, die der
Industrialisierung ihres Gewerbes weichen müssen, ganz zu schweigen von der
proletarisierten ländlichen Bevölkerung).
In Balzacs Stück gebiert Louise de Vaudrey nach sieben Monaten Ehe mit dem
Duc de Montsorel einen Sohn. Wegen der Kürze der Schwangerschaft bezweifelt
der Ehemann, dass das Kind von ihm stammt, verdächtigt wird Louises frühe-
rer Geliebter Langeac. Der Duc zwingt Louise, auf die Anerkennung des Kindes
zu verzichten und es in die Fremde zu schicken. Anstelle Fernands, des legiti-
men Sohnes, wird ein von Montsorel mit einer spanischen Courtisane gezeugtes
Kind als legitimer Sohn aufgezogen. Zu Beginn des Stücks taucht der Verschol-
lene unter dem Namen Raoul de Frescas wieder auf und wirbt um die Hand der
schönen Inès de Christoval, die Eheschließung scheitert aber vorerst am fehlen-
den Stammbaum Raouls. Er ist nämlich von einem entlassenen Sträfling namens
Jacques Collin alias Vautrin im Alter von zwölf Jahren am Straßenrand aufgele-
sen und zu einem vollendeten Edelmann erzogen worden. Der einzige Schön-
heitsfehler an der Angelegenheit ist, dass das nötige Kapital für diese Erziehung
und den luxuriösen Lebenswandel Raouls aus kriminellen Unternehmungen
einer von Vautrin befehligten Bande stammt. Inès soll statt Raoul Albert de
Montsorel, den Bastard des Duc, heiraten. Vautrin erfindet nun eine respekta-
ble Abstammung und einen zwingenden Grund für die Heirat von Raoul und
Inès: Als mexikanischer General verkleidet, berichtet er Inès’ Mutter, dass ihr
Mann, der das Königtum in Mexiko gegen die Revolutionäre verteidigt hat, im
388 Vautrin. Drame en 5
actes, et en prose. In: Œuvres illustrées de Balzac. Paris: Marescq et Com-
pagnie, Gustave Havard 1853, S. 92–112.
6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 381
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510