Seite - 348 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 348 -
Text der Seite - 348 -
6 7 1 George Sand
Als erstes Beispiel sei ein historischer Roman angeführt, der nicht gerade freund-
lich auf Österreich Bezug nimmt und etwa zur Hälfte in Wien spielt. George
Sand greift in Consuelo unverblümt die Monarchie und ihre Vertreter an. Ihr
Hauptvorwurf lautet, dass absolute Macht den Charakter verderbe. Von Maria
Theresia ist da beispielsweise zu lesen, „qu’elle fût en train de descendre cette
pente fatale du pouvoir absolu, qui éteint peu à peu la foi dans les âmes les plus
généreuses“301 (dass sie sich auf der verhängnisvollen Bahn des Absolutismus,
der nach und nach auch in den großherzigsten Gemütern den Glauben an edle
Gesinnung auslöscht, abwärts bewegte).302 Consuelo und der im Roman auftre-
tende Joseph Haydn kommen zu dem Schluss, daß sich die Kaiserin von der an
ihrem Hof herrschenden Heuchelei in Fragen der Moral anstecken lässt: „Cette
cour de Vienne est donc bien hypocrite? dit Consuelo. – Je crains, entre nous
soit dit, répondit Joseph en baissant la voix, que notre grande Marie-Thérèse ne
le soit un peu.“303 (Am Wiener Hof herrscht also Heuchelei?, fragte Consuelo.
Unter uns, ich fürchte, antwortete Joseph leise, dass unsere große Maria There-
sia ein wenig davon angesteckt worden ist.) Der begnadeten Sängerin Consuelo
gelingt es nicht, in Wien Fuß zu fassen, weil ihr ihre Gegner eine amouröse
Beziehung zu Haydn angedichtet haben. Andererseits triumphiert ihre durch
und durch verdorbene Konkurrentin Corilla, weil sie vorgibt, verheiratet zu sein.
In einer Audienz bietet Maria Theresia Consuelo an, sie zu protegieren, falls sie
sich zu einer Heirat mit Haydn entschließen würde. George Sand wirft der Kai-
serin vor, die Entwicklung der von ihrem Kanzler, dem Fürsten Kaunitz, ange-
zettelten Liebesintrigen mit großem Interesse zu verfolgen und dem bunten
Treiben durch die schließliche Verheiratung von Schauspielerinnen und Sänge-
rinnen ein moralisches Mäntelchen umzuhängen, und verspottet diese ihre Vor-
liebe als „matrimoniomanie“.304 Heuchelei ortet sie des Weiteren in der Praxis,
Konvertiten mit offenen Armen zu empfangen, auch wenn deren Vorgeschichte
wenig ruhmreich war oder sogar Verbrechen einschloss. Als schlagendes Bei-
spiel dafür erzählt George Sand die Geschichte der Markgräfin von Bayreuth,
die aus Eifersucht ihre Tochter von einem Lakaien vergewaltigen ließ. Fragwür-
dige Doppelmoral beweist die österreichische Herrscherin schließlich auch in
ihrem Verhalten gegen den berüchtigten Panduren Trenck: Nachdem sie seiner
Dienste nicht mehr bedarf, lässt sie ihn unter Hinweis auf die von ihm im Erb-
301 George Sand: Consuelo – La Comtesse de Rudolstadt. Texte présenté et annoté par Simone
Vierne et René Bourgeois. 3 Bände. Meylan: Éditions de l’Aurore 1983, hier Bd. 2, S. 240.
302 Die Übersetzungen von Zitaten aus Consuelo stammen vom Verfasser, N. B.
303 Ebd., Bd. 2, S. 210.
304 Ebd., Bd. 2, S. 312.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
348 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510