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Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 299
einer weiblichen Regentschaft in europäischen Dynastien in Krisensituationen wie der
Minderjährigkeit des Thronerben durchaus üblich229, und auch im Falle der Abwesenheit
oder Regierungsunfähigkeit von Fürsten kam es regelmäßig vor, dass deren Gemahlinnen
die Geschäfte führten. Am Wiener Hof war dies jedoch seit dem 16. Jahrhundert nie not-
wendig gewesen; noch während der ersten Regierungsjahre Leopolds I. etwa hatte sein
Onkel Leopold Wilhelm de facto eine Art Mitregierung ausgeĂĽbt230. Dazu handelte es
sich ja 1711 um eine von den ĂĽblichen Regentschaften insofern abweichende Konstella-
tion, als der Erbe volljährig und handlungsfähig war, aber eben bereits eine andere Krone
trug und schlichtweg räumlich nicht sofort verfügbar war. In geradezu klassischer Weise
für frühneuzeitliche Herrschaftsverhältnisse wurde in dieser heiklen Situation nun auf die
Kaiserin-Witwe als subsidiäre dynastische Reserve zurückgegriffen, um die Herrschaft des
Hauses Habsburg zu sichern, bis die Pläne des Thronerben erkennbar wären und er selbst
ins Reich zurĂĽckkehrte.
Eleonora Magdalena wurde also noch am 17. April 1711 in der Geheimen Konferenz
zur Regentin der habsburgischen Erbkönigreiche und -länder erklärt231 und hatte dieses
Amt inne, bis Karl – dann schon als gewählter und gekrönter Kaiser Karl VI. – Ende
Januar 1712 selbst in Wien eintraf. Diese Regentschaft wird in der Literatur gelegentlich
am Rande erwähnt; vor allem im Zusammenhang mit dem Friedensschluss am Ende der
bewaffneten Auseinandersetzungen in Ungarn, dem Frieden von Szatmár/Satu Mare, der
ihre Unterschrift trägt, ist darauf hingewiesen worden232. Eine genauere Untersuchung
des Regierungshandelns der Kaiserin-Witwe steht jedoch aus. Dies kann auch hier nicht
geleistet werden, aber es ist eine interessante Frage, ob und wenn ja wie im Kontext die-
ser Regentschaft die Position der Regentin als Kaiserin-Witwe reflektiert wurde und wel-
worden, das Weiber zue Regierung der Lannde weren adhibiert worden“, siehe ebenda, 117.
229 Puppel, Regentin, bes. 141; Schäfer, Regentinnen, 213–216, und weitere Beiträge in Rogge, Fürs-
tinnen.
230 Schreiber, Leopold Wilhelm, 159–162.
231 Siehe dazu etwa die Zeitungsmeldung im „Wiennerischen Diarium“ 1711, Nr. 805, S. 2; Arneth,
Eigenhändige Correspondenz, 143 (17.04.1711, Wratislaw an Karl): „Alle augen schauen anietzo auf
E. M. alss vnseren ErblandtsfĂĽrsten vndt herrn, bey welchem wir alle, vndt vor ihm vnser gut vndt
blueth aufzusetzen festieglich entschlossen seindt, vndt damit wir gleich wohlen in abgang E. M. voll-
macht vndt biss auf dero weithers eingelofene befehl dero gliebteste fraw mutter pro tempore zu einer
Regentin dieser Landen, gleich wie es ihr auch de jure et convenientia gebĂĽhret, zu declariren welche
zweifelsohne löblich, biss zu E. M. wills Gott baldt klücklicher ankunfft vnss guberniren wirdt.“
232 Turba, Pragmatische Sanktion, Bd. 1, 128–131; Jukic, Vladavina [mir sprachlich leider nicht zu-
gänglich]; Jukic, Habsburg Princess, bes. 224, 229f.; in sehr negativem Licht dargestellt bei Zie-
kursch, Kaiserwahl, 14–17, Aretin, Reich, Bd. 2, 221f.; Rill, Karl VI., 87f.; Broucek, Kuruzzen-
einfälle, 43–46; Ingrao, Joseph I., 226f. Ausführungen auch bei Anzböck, Eleonore Magdalena,
135–143.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
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Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Title
- Die Kaiserin
- Subtitle
- Reich, Ritual und Dynastie
- Author
- Katrin Keller
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 430
- Keywords
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Ăśberblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und KurfĂĽrsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Ăśberblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Ăśberlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- GruĂźbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- FĂĽrbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als FĂĽrsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die BegrĂĽndung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- AbkĂĽrzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427