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4.3 Bedeutung der entwicklungspsychologischen Erkenntnisse
für die Studie
Die entwicklungspsychologische Forschung verdeutlicht die Entwicklungsschritte in
der Kindheit, die im Alter zwischen drei und sechs Jahren stattfinden. Vorschulkinder
beziehen kognitive Aktivitäten auf konkrete Inhalte und Erlebnisse. Dies ist wichtig
für die Anlage des Untersuchungsdesigns, weshalb die teilweise von der Forscherin
initiierten Gruppendiskussionen zeitlich unmittelbar nach einem konkreten Erlebnis
angelegt werden. Aufgrund des Wortschatzes und des Sprachvermögens fünfjähriger
Kinder ist eine sprachliche Erhebung bereits möglich. Trotzdem werden nonverbal
Formen der Kommunikation in der Untersuchung mit berücksichtigt, bei jüngeren
Kindern müsste die Datenerhebung noch mehr auf nonverbale Datenerhebung fokus-
siert sein. Der Effekt, dass Kinder eher Negatives wahrnehmen, wenn die Menschen
fremd sind, und eher Positives, wenn die Menschen bekannt sind, wird dahingehend
zu minimieren versucht, indem Gruppendiskussionen in Realgruppen stattfinden,
also nur Personen in Gruppen diskutieren, die auch im Alltag miteinander agieren.
Kinder sind ab vier Jahren zur Perspektivenübernahme fähig, worauf die Ergebnisse
der Theory of Mind293 hindeuten. Kinder sind in der Lage zu abstrahieren und zu
klassifizieren,294 Unterschiede und Gemeinsamkeiten können somit von den Kindern
erkannt werden. Kinder im frühen Grundschulalter beginnen Personen überdauernde
psychologische Merkmale zuzuschreiben und ihr Handeln nicht mehr nur vor dem
Hintergrund augenblicklicher Wünsche, Absichten und Informationen zu interpretie-
ren. Falls Differenz im Umfeld gegeben ist, könnten Kinder diese aus entwicklungs-
psychologischer Perspektive daher wahrnehmen.
5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung295
Solange Kinder als künftige Erwachsene wahrgenommen wurden und sich die For-
schung ihnen als ausschließlich Sich-Entwickelnde zuwandte, stand die Phase des
Erwachsenseins über der Kindheit und die Gesellschaft verstand sich als ausschließ-
liche Erwachsenengesellschaft, wohingegen Kindheit als defizitärer Zustand galt. Die
Aufgabe der Kindheitsforschung angesichts dieses Bildes vom Kind war es, zu erfor-
schen, welche Bedingungen und Umstände bestmöglich dazu beitrugen, dass „aus die-
293 Vgl. Doherty, Martin (2009): Theory of Mind. How Children Understand Others’
Thoughts and Feelings. East Sussex-New York: Psychology Press.
294 Vgl. Schneider, Wolfgang/Lindenberger, Ulman (2012): Entwicklungspsychologie, 192.
295 Als Grundlage für diesen Abschnitt dient der von der Autorin verfasste Artikel: Stockin-
ger, Helena (2013): Die wechselseitige Verwiesenheit einer Kultur der Anerkennung
und einer Kindheitsforschung. In: Jäggle, Martin/Krobath, Thomas/Stockinger, Helena/
Schelander, Robert: Kultur der Anerkennung. Würde – Gerechtigkeit – Partizipation für
Schulkultur, Schulentwicklung und Religion. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren,
191–201.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279