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3.1.2 Kindergarten in islamischer Trägerschaft
Das fünfundzwanzig Minuten dauernde Gespräch fand am 16. Dezember 2013 von
15:05 Uhr bis 15:30 Uhr im Zimmer des Leiters des Kindergartens statt. Das Fens-
ter des Raumes war gekippt, weshalb Nebengeräusche die Transkription erschwerten,
trotzdem war alles Gesagte verständlich. Das Gespräch wurde von einer in den Raum
kommenden Kindergartenpädagogin kurz unterbrochen, anschließend jedoch unbeirrt
fortgesetzt. Der Leiter antwortete ausführlich auf alle Fragen und bedankte sich mehr-
mals für die gestellten Fragen. Während des Gesprächs richtete er immer wieder Fra-
gen an die Interviewende, z. B. ob bestimmte Angebote im Kindergarten der Meinung
der Interviewenden entsprächen. Diese wurden möglichst neutral beantwortet bezie-
hungsweise mit einer weiterführenden Frage thematisiert, bei sehr direkter Anfrage
wurden diese kurz beantwortet.
Der Kindergarten solle für Kinder aller Nationen und Religionen offen sein,
weshalb Religion als freiwillige Zusatzleistung in Form von Religionsunterricht ange-
boten werde, wobei die Eltern entschieden, ob ihr Kind diesen besuchen solle. Der
Religionsunterricht finde täglich zwanzig bis dreißig Minuten lang in einem eigens
dafür reservierten Raum statt, eine dafür ausgebildete Pädagogin unterrichte die Kin-
der und der Unterricht erfolge an einer täglich im Tagesablauf eingeplanten Zeit. Da
für drei- bis sechsjährige Kinder nur ein geringes religiöses Angebot möglich sei, solle
der Religionsunterricht inhaltlich und methodisch an das Alter der Kinder angepasst
sowie ein angemessenes Zeitausmaß gewählt werden. Im Unterricht würden Gebote
und Verbote des Islam gelernt und „kleine Verse aus dem heiligen Koran“ gesungen,
die die Kinder „langsam mit Gebeten verbinden sollen“.602 Es erfolgt eine klare
Abgrenzung zur Koranschule, „Koranschulen haben wir nicht“,603 und Mission solle
keine stattfinden. Ziel des Unterrichts sei, Kinder mit einem „kleinen Hintergrund“604
für die Schule vorzubereiten. Sie sollten lernen, richtig miteinander umzugehen und
„gesunde Gläubige“605 werden, „nicht Fundamentalisten oder Atheisten“.606
Der restliche Kindergartenalltag solle von Religion und den religiösen Einstellun-
gen der Pädagoginnen unbeeinflusst sein. So würden religiöse Feste im Kindergarten
nicht gefeiert, sondern ausschließlich Geschichten zu den Festen erzählt und den
Kindern symbolische Geschenke überreicht. Die unterschiedlichen Niveaus und die
Wünsche der Eltern bildeten die Ausgangsbedingungen für die geplanten Aktivitä-
ten, wobei ein Mittelweg zwischen den diversen Anforderungen der Eltern gewählt
werde, was sich besonders beim Angebot des halal zubereiteten Essens zeige. Alle am
Kindergartengeschehen Beteiligten sollten mit den Angeboten im Kindergarten zufrie-
602 Experteninterview mit Leiter des Kindergartens in islamischer Trägerschaft, 12f.
603 Ebd., 195f.
604 Ebd., 195.
605 Ebd., 178.
606 Ebd., 178f.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279