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Beschreibungen von persönlichen Beobachtungen, die sichtbaren Unterschiede waren
somit im Vordergrund und es kamen keine abstrakten oder rationalen Formulierungen
vor.221 Elkind kommt zum Schluss, dass sich Kinder ab einem Alter von fünf oder
sechs und häufig früher ihrer religiösen Identität bewusst sind,222 dass sie allerdings bis
zur Adoleszenz über diese mehr wissen als sie verstehen.223
1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen
In der Studie, die von Ina ter Avest gemeinsam mit fünf Bachelorstudenten mit Kin-
dern eines Kindergartens (vier bis fünf Jahre) und einer Grundschule im großstädti-
schen Gebiet (sechs bis zwölf Jahre) in den Niederlanden durchgeführt wurde, wurden
Kinder über ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen befragt. Ein vierjähriger
Junge türkischer Abstammung, ein fünfjähriges Mädchen surinamischer Abstammung
sowie ein fünfjähriges Mädchen und ein fünfjähriger Junge niederländischer Herkunft
wurden befragt. Es wurde davon ausgegangen, dass Kinder aufgrund ihrer Erfahrun-
gen eine eigene Theory of Mind entwickelt haben. Ina ter Avest wählt einen sehr offe-
nen Gesprächseinstieg, der sich auf den Tag bezieht, an dem das Gespräch stattfand.
Dem Kind wurde eine Kiste mit Puppen gezeigt und es wurde gefragt, wen es heute
schon alles gesehen habe. Das Kind wurde nach zwei oder drei vertrauten Personen,
signifikant Anderen, befragt und es sollte eine Puppe wählen, die es so anziehen sollte
wie diese anderen Personen. Anschließend wählte das Kind eine Puppe aus, die es
selbst darstellen sollte und die es wie sich selbst kleidete. Danach wurde das Kind
gefragt, ob es heute oder an einem anderen Tag einem Menschen begegnet sei, der
ihm unbekannt gewesen sei. Auch für diese Person wurde von dem Kind eine Puppe
gewählt. Das Gespräch wurde mit der Puppe, die die unbekannte Person verkörperte
und der Puppe, die die eigene Person darstellte, fortgesetzt. Fragen wurden gestellt,
wie „Wann war die Begegnung?, Wie verlief sie?, Wie hat das Kind die Begegnung
erfahren?“.224 Das Kind wurde ermutigt, die Begegnung mit Hilfe der Puppen erneut
zu vollziehen, woraufhin das Kind erzählte, was die Puppe in der Situation fühle und
denke, wodurch die Begegnung mit dem Anderen rekonstruiert wurde. Ina ter Avest
stellt in ihrer Pilotstudie, die thematisiert, wen Kinder als anders wahrnehmen fest,
dass Religion
„entweder so ‚normal‘ ist, dass sie nicht darüber erzählen, dass sie noch kein Interesse
an Religion haben oder ihnen noch keine Wörter zur Verfügung stehen. Sie konzent-
rieren sich auf andere Aspekte, beispielsweise ob jemand ‚nett‘ ist. Das bedeutet, dass
221 Ebd., 38.
222 Ebd., 36.
223 Ebd., 40.
224 ter Avest, Ina (2010): Der Andere – fast so wie ich? Der Unterschied zwischen dem Ich
und dem Anderen aus der Sicht von Kindergartenkindern. In: Edelbrock, Anke/Schweit-
zer, Friedrich/Biesinger, Albert (Hg.): Wie viele Götter sind im Himmel?, 89–103, 99.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279