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feiern, da manche muslimische Eltern den Anschein erweckten, über das Fest nicht
Bescheid zu wissen oder dies sprachlich nicht vermitteln zu können. Fast alle Eltern
und Kinder kämen zu den christlichen Festen im Kindergarten, bei den Abwesenden
fragt sich die Pädagogin, inwiefern das Fernbleiben von Festen religiös motiviert sei
oder zeitliche Gründe habe, wobei sie Letzteres vermute. Die Pädagoginnen sind sich
unsicher, welche Kinder bei Festen nicht anwesend gewesen sind. Die Erklärung,
warum ein Kind bei einem Fest nicht dabei sein könne, solle ihrer Meinung nach zu
Hause erfolgen. Die Pädagoginnen schätzen Kinder bei einem Fest zu nervös und
aufgeregt ein, um die Abwesenheit mancher Kinder zu bemerken. Falls ihnen die
Abwesenheit doch auffalle, würden sie glauben, dass die nicht anwesenden Kinder
krank seien oder etwas anderes zu tun hätten. Die Kinder bemerkten möglicherweise
die drei übriggebliebenen Laternen, würden diese allerdings nicht richtig registrieren,
weil sie mit ihrer eigenen Laterne beschäftigt seien. Die Kopftücher mancher Mütter
oder der Punkt auf der Stirn einer Mutter würden Kindern deutlicher auffallen als
religiöse Differenz bei den Kindern. Als Beispiel für Situationen, in denen Kinder
religiöse Differenz bei Kindern bemerkten, erzählen die Pädagoginnen von einem
Kind, das mit einer Glatze aus dem Urlaub zurückgekommen sei und einem anderen
Kind, das mit Henna bemalten Händen in den Kindergarten gekommen sei und die
Kinder dies mit Tattoos, die sie sich aufgemalt oder die sie beim Arzt bekommen
hätten, verglichen hätten. Ansonsten thematisierten Kinder Themen wie das Kopftuch
zu Hause und nicht im Kindergarten. Obwohl Tücher in der Rollenspielecke liegen
würden, würden sich Kinder diese nicht als Kopftücher umbinden.
Die Pädagoginnen sind sich einig, bezogen auf die religiöse Vielfalt keine Unter-
stützung im Kindergarten zu benötigen.
3.4.2 Kindergarten in islamischer Trägerschaft
Im Kindergarten in islamischer Trägerschaft wurde die Gruppendiskussion mit den bei-
den Pädagoginnen in der Zeit geführt, in der die Kinder im Koranunterricht waren und
wurde einmal durch das Hereinkommen einer anderen Pädagogin kurz unterbrochen.
Die Diskussion konnte im Gruppenraum geführt werden, da die Kinder, die nicht am
Koranunterricht teilnahmen, in eine andere Gruppe gingen. Die Pädagoginnen wech-
selten sich in ihren Wortmeldungen häufig ab, ergänzten teilweise Worte, die der ande-
ren Pädagogin nicht einfielen und nahmen auf das bereits Gesagte Bezug, indem sie
dieses bestärkten, Beispiele hinzufügten oder eine andere Sichtweise einbrachten.
Die Pädagoginnen erzählen, dass Kinder sowohl untereinander als auch mit den
Pädagoginnen über religiöse Themen sprechen würden. So thematisierten sie auch,
wenn die Pädagogin nicht anwesend sei, was nicht getan werden dürfe, weil es ḥarām626
626 Das arabische Wort ḥarām bedeutet ins Deutsche übersetzt „verboten, unerlaubt; Verbote-
nes, Sünde, unverletzlich; heilig, geheiligt; verflucht, fluchbeladen“ (Wehr, Hans (1968):
Arabisches Wörterbuch, 155).
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279