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– heute ist sie in der Sprachdidaktik unseres Erachtens nach zu Unrecht
kaum ein Thema (vgl. auch Ammon/Kellermeier 1997).
Mit innersprachlicher Mehrsprachigkeit ist die Tatsache gemeint, dass kompe-
tente SprecherInnen einer Sprache über unterschiedliche Ausprägungen, sprich
„Varietäten“ dieser Sprache verfügen – und gerade im deutschsprachigen Raum
spielt diese innersprachliche Mehrsprachigkeit im schulischen Kontext eine wich-
tige Rolle: einerseits durch die so genannte Diglossie ‚Dialekt
– Standardsprache‘
bzw. die Triglossie ‚Dialekt
– Umgangssprache
– Standardsprache‘1 (siehe Kap.
2.3
und 2.5), andererseits durch die sprachliche Variation innerhalb der deutschen
Hochsprache bzw. Standardsprache (der letzte Begriff wird im Folgenden vor-
wiegend verwendet), die einerseits mit dem Konzept der Plurizentrik mit den
drei Varietäten des Schweizer Standarddeutsch, des österreichischen Standard-
deutsch und des deutschen Standarddeutsch modelliert wird, andererseits mit
dem Konzept der Pluriarealität (s. u.).
Dass die Variation des Deutschen in österreichischen Schulen etwa in Lehr-
plänen, Lehrmaterialien und auch im Unterricht kaum bis gar nicht berücksichtigt
wird, ließen vor Projektbeginn die ExpertInnen- Einschätzungen aus der eingangs
erwähnten Vorstudie sowie die Ergebnisse zweier Diplomarbeiten (Legenstein
2008, Heinrich 2010) vermuten. Wie Bildungsinstitutionen wie Schulen (und
auch Kindergärten) mit mehr oder minder weit vom bildungssprachlichen Stan-
darddeutschen entfernten Erstsprachen- Varietäten der Kinder, also mit deren
innersprachlicher Mehrsprachigkeit, umgehen, beeinflusst die Bildungschancen
der SchülerInnen. Denn die deutsche Sprache ist nicht nur die Erstsprache der
Mehrheit der SchülerInnen
– ihre zentrale Funktion im Bildungssystem ist die der
Bildungssprache. Mit Bildungssprache ist ein formelles sprachliches Register mit
spezifischen syntaktischen, lexikalischen und diskursiven Merkmalen gemeint,
in dem man abstrakte und kognitiv anspruchsvolle Informationen unabhängig
vom jeweiligen Kontext speichern und übermitteln kann; dasjenige sprachliche
Register also, in dem man sich mit den Mitteln der Schulbildung ein grundlegen-
des Orientierungswissen verschaffen kann (Habermas 1977, Gogolin/Lange 2011).
Da sich die vorliegende Arbeit in erster Linie mit staatsbezogenen, nationalen
Varietäten der deutschen Sprache befasst, seien im Folgenden zunächst Informa-
tionen zur Rolle und zum Status der deutschen Sprache in den entsprechenden
Ländern gegeben.
1 Diglossie bezeichnet die Zweisprachigkeit innerhalb einer Gesellschaft/Sprachgemeinschaft,
bei der es eine klare funktionale Differenzierung zwischen zwei eng verwandten Sprachvarie-
täten gibt, die unterschiedliches Prestige haben (High bzw. Low Language, vgl. Ferguson
1982/1959). Von Triglossie kann man in Parallelität dazu sprechen, wenn es sich um drei
Varietäten handelt.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes16
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256