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Das Wort Tschüss ist ein allgemein sichtbares Anzeichen dafür, dass neben den
LehrerInnen vor allem die SchülerInnen mündlich und auch schriftlich zusehends
Deutschlandismen verwenden, wie LehrerInnen bemerken. Ein Lehrer aus der Steier-
mark (MSt2) ortete in diesem Zusammenhang eine Vermischung der Sprachregister:
Ja,
… vor allem in der schriftlichen Variante kommen BUNDESDEUTSCH gesprochene
Variationen vor, wie: „mal. Sag mal.“ Mit der Einbildung, dass sei sozusagen gehobenes
Schriftdeutsch. Und dann schreib i dazu, das is umgangssprachlich, dann glauben’s
„Na das is ja DEUTSCH! Das hör ich immer im Fernsehen!“ Also auch sozusagen
die Verwechslung zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch. Und äh/ die
Gleichsetzung zwischen gesprochenen oder umgangssprachlichen bundesdeutschen
Varianten mit Schriftdeutsch. Des is a Problem.
Dass es wichtig sei, österreichisches Deutsch und deutschländisches Deutsch im
Unterricht zu thematisieren, betonten in den Interviews fast alle LehrerInnen.
Im In- und Ausland müsse das Bewusstsein für eine existierende österreichische
Standardvarietät geschaffen werden, die vom Dialekt abzugrenzen sei, meinte eine
Lehrerin aus der Steiermark (FSt1). Sie wies außerdem darauf hin, dass die Suche
nach geeigneten Unterrichtsmaterialien zum Sensibilisieren für die Merkmale
der deutschen Standardvarietäten nicht immer einfach sei:
Und da war ich auf der Suche nach ah österreichischen Hörtexten […], aber dieses
eine [bundesdeutsche, Anm.] Hörbuch, wos i do am Beginn ghört hob, des hot ma
den Magen umgedreht, muaß i gonz ehrlich sogn […] mich ärgert das schon, wenn
ahm/wenn i im Ausland bin, und das österreichische oder meine Standardvariante
…
als charmanter Dialekt abgetan wird, das (mag) ich nicht.
Viele der interviewten Lehrkräfte haben eigenen Angaben zufolge beobachtet,
dass sich SchülerInnen damit schwer tun, österreichische Standardausdrücke als
standardsprachlich und nicht als Substandard- Varianten einzuordnen. Eine Leh-
rerin aus Niederösterreich (FN1) schilderte, was sie in diesen Fällen unternimmt:
Do versuch i eben grod anhand dieser Ausdrücke wie „Leiberl“ oder so oder „Bub“
ah dass i eana des hoit erklär, dass ma si do net geniern muaß, sondern (das is) öster-
reichisch. Und des soins bitte verwenden, damits nicht vergessen wird.
Viele Lehrkräfte waren sich einig, dass das schülerseitige Sprachbewusstsein
geschärft werden müsse: Indem im Unterricht sprachliche Phänomene des öster-
reichischen Deutsch und des deutschländischen Deutsch explizit reflektiert und
diskutiert werden. Dies umso mehr, als sich viele SchülerInnen bewusst oder
unbewusst durch ihre Sprache in Österreich verwurzelt fühlen. In diesem Zusam-
menhang wird auch die Verbindung zwischen Sprachvarietät und Identität von
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen198
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256