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übrigen Regionen. „Erneut zeigt sich die Nationalgrenze bei den Einstellungen
von GP aus D als wirksamer als Dialektgrenzen.“ (284) Letzterer Befund ist dem
von Pfrehm ähnlich. Dabei würden die GP aus Österreich die Standardsprach-
lichkeit von Varianten am höchsten einschätzen. Das bestätigt wiederum Ammon
(2000a): „Ein verhältnismäßig großer Teil der Bevölkerung (Österreichs, Anm. d.
Verf.) scheint sich der Existenz eigener Nationalvarianten bewusst zu sein“ (518).
Die Frage nach dem besten Hochdeutsch ergab im Übrigen ein ähnliches Ergeb-
nis: Nur 25 % aus Österreich, aber 42 % aus der Schweiz und 55 % aus Deutsch-
land sehen das beste geschriebene Hochdeutsch in Deutschland (Schmidlin 2011,
287). Auch wenn Schmidlin das Plurizentrizitätsbewusstsein generell als schwach
ausgeprägt einschätzt („dass die in der Linguistik und Lexikographie akzeptierte
Plurizentrik des Deutschen mehrheitlich nicht bis in die Köpfe der Sprecherin-
nen und Sprecher vorgedrungen zu sein scheint“, 296), zeigt es sich so gesehen
am ehesten in Österreich.
Um zur Frage „Plurizentrik
– Pluriarealität“ zurückzukommen: Schmidlin hebt
als bemerkenswerten Befund ihrer Arbeit „die Wichtigkeit der Landesgrenzen als
pragmatische und kognitive Grenze“ hervor (297). Diese sei im Zusammenhang
mit den Standardvarietäten des Deutschen „erstmals in dieser Deutlichkeit und
erstmals auf einer breiten empirischen Basis nachgewiesen“ worden (a. a.O). „Die
Plurizentrik ist kein Phantom, sondern eine Variationsebene, deren Existenz in
öffentlichen, breit rezipierten Texten nachgewiesen werden kann. Sie mag in den
Köpfen der Sprecher nicht als Konzept existieren, wird aber praktiziert.“ (300)
An anderer Stelle hält Schmidlin fest, die Plurizentrik sei „so lange kein Wider-
spruch zur Pluriarealität, als man nicht nur nationale Varianten, sondern auch
regionale Varianten berücksichtigt, deren Geltungsareale über nationale Grenzen
hinausgehen“ (Schmidlin 2011, 4).
Schmidlin/Wyss/Davies (2017), die zwischen „einer stärker der Dialektologie
verpflichteten pluriarealen Modellierung einerseits und der soziolinguistisch-
institutionell argumentierenden plurizentrischen Modellierung andererseits“ (16)
unterscheiden, stellen sich die Frage, welches Gewicht der nationalen Zugehörig-
keit bei der Kategorisierung der Varietäten der deutschen Standardsprache bei-
gemessen werden könne. Auch wenn Nationalismen zu Recht hinterfragt würden
und ihre Überwindung gefordert werde: „Die soziokulturelle Wirkung national-
territorialer politischer Grenzen bei der Beschreibung von Sprachvariation zu
negieren, wäre unseres Erachtens aber der falsche Weg“ (a. a. O., 16). Auch eine
plurizentrische Modellierung der Sprachvariation könne Überlappungen von
Merkmalen entlang verschiedener Kontaktzonen darstellen, und die nationale
Variationsdimension könne als eine Spielart neben anderen Variationsdimensionen
verstanden werden (16).
Im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit ist es uns wichtig, festzuhal-
ten, dass wir es mit sprachpolitischen und sprachsoziologischen Phänomenen zu
tun haben, mit Kodifizierung, Normsetzung und staatlichen Instanzen, die diese
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| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes46
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256