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jedoch unklar, ob es sich um Texte von bundesdeutschen, österreichischen oder
Schweizer AutorInnen handelt. Klare Verweise auf Wörterbücher gibt es, ebenso
wie in den österreichischen Lehrplänen, nicht, lediglich allgemeine Empfehlungen,
die SchülerInnen mögen im Wörterbuch nachschlagen.
In keinem der analysierten Lehrwerke wird die Varietätenfrage metasprachlich
thematisiert. Termini wie „plurizentrisch“, „pluriareal“, „plurinational“, „österrei-
chisches Deutsch“, „Schweizer Deutsch“, „deutsch(ländisch)es Deutsch“, „Austria-
zismen“, „Helvetismus“, „Deutschlandismus/Teutonismus“ werden nicht verwen-
det, und zwar weder in den für die SchülerInnen bestimmten Materialien noch
in den LehrerInnenbegleitheften. Andere Aspekte der Variation der deutschen
Sprache (Standard vs. Dialekt/Mundart; Jugendsprache; Fachsprache u. Ä.)
– wer-
den dagegen lehrplangemäß immer wieder thematisiert. Überall dort wäre eine
Thematisierung unterschiedlicher Konzeptualisierungen des Deutschen sachlich
logisch und sinnvoll gewesen
– sie findet jedoch nicht statt. Auch dort, wo es im
Kontext von Mediensprache angebracht wäre, Einflüsse des deutschen Deutsch
auf das österreichische Deutsch via Kabel- TV und andere moderne Medien zu
thematisieren, fehlen die gebotenen Querverweise. Insgesamt lässt die Analyse
der oben genannten Lehr- und Übungsbücher bzw. LehrerInnenhandbücher
vermuten, dass diesen Lehrwerken eine monozentrische Einstellung zugrunde
liegt. An den Stellen, an denen man auf das österreichische Deutsch hinwei-
sen hätte können und auf verschiedene Konzeptualisierungsmöglichkeiten (z. B.
die Plurizentrizität
– auf der Ebene der Standard- und Bildungssprache), wurde
diese Möglichkeit nicht aufgegriffen. Die SchülerInnen werden dadurch für das
österreichische Deutsch nicht sensibilisiert, obwohl diese staatliche Variation der
deutschen Sprache für nationale Identitätskonstruktionen der ÖsterreicherInnen
und für Identitätspolitik eine wichtige Rolle spielt.2
Zusätzliche Informationen zu Grammatik, Orthographie oder Wortschatz des
österreichischen Deutsch gibt es weder in den Lehrbüchern noch in den Leh-
rerInnenhandbüchern. Vorschläge zum Umgang mit Varietäten oder Dialekten
gibt es in den analysierten Lehrwerken nur andeutungsweise. Begriffe wie Stan-
dardsprache, Umgangssprache, Dialekt, Jugendsprache etc. werden nicht immer
ausreichend erklärt.
In den analysierten Lehrwerken gibt es viele Texte österreichischer und
deutscher Herkunft, jedoch deutlich weniger Texte von Schweizer AutorInnen.3
Keiner dieser Texte ist explizit als deutscher, österreichischer oder Schweizer Text
2 Mögliche Anlässe zur Sprachreflexion über die Rolle der Sprachvarietäten für nationale Identi-
tätskonstruktionen könnten das Protokoll Nr.
10 oder die Auseinandersetzung mit der EU um
die Bezeichnung „Marmelade“ sein (vgl. de Cillia 2006).
3 Gerade Texte von Schweizer AutorInnen böten Gelegenheit, auch Helvetismen zu thematisieren,
wie Peter Bichsels „Ein Tisch ist ein Tisch“ oder Dürrenmatts „Romulus der Große“ mit folgen-
der Passage: „ROMULUS: Das Morgenessen. DIENER: Eure Exzellenz, es heisst das Frühstück.
ROMULUS: Das Morgenessen. Was in meinem Hause klassisches Latein ist, bestimme ich.“
Zusammenfassung
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256