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nichts mit der Sprache zu tun.“ F5, die in Kroatien geboren ist, nahm das „Hei-
matmotiv“ auf und meinte: „Wenn ich in Kroatien bin, sag ich immer, ich will
nach Hause, und wenn ich zu Hause sage, mein ich immer
– Österreich. Also ist
Österreich die: Heimat. Es ist halt, da bin ich zu Hause“ (1128).
F3 (1155) fokussierte auch darauf, dass Identitätskonstruktionen als Österrei-
cherIn individuell sind: „Jeder [muss] für sich selber wissen, durch was er sich
als Österreicher sieht. Manche halt über die Sprache, und manche dadurch, dass
sie gern Schnitzel essen, was weiß ich.“
Auch M1 (1110) vertrat einen ähnlich konstruktivistischen Identitätsbegriff:
Ich komm aus Österreich, deshalb bin ich Österreicher. So würd ich das sagen […]
da ist für mich nix anderes ausschlaggebend, wie man jetzt spricht und ah, trotzdem
bin ich Österreicher, weil ich hier geboren bin.
In der Gruppe der LehrerInnen wurde der Bezug zur eigenen nationalen und auch
regionalen Identität von Beginn an hergestellt – ohne dass die Frage zunächst
explizit gestellt wurde. Skeptische Positionen fanden sich hier nicht: „Ähm, öster-
reichisches Deutsch bedeutet für mich SCHON einen Teil meiner Identität. Und
auch der Sprachidentität meiner Schülerinnen und Schüler.“ (F2, 069) Oder F3,
die zwei Jahre in Berlin studiert hatte und dort auch als Österreicherin identi-
fiziert wurde („Ich weiß noch, dass meine Wortmeldungen am BeGINN, wie ich
dort war, immer für, ahm, ErHEITERung gesorgt haben“), meinte (083): „F:ür
MICH, ähm, bedeutet das österreichische Deutsch, ahm
– eindeutig eine sprach-
liche Identifizierung.“ Und etwas später: „Und i glaub, das macht für MICH das
österreichische Deutsch aus. Also, dass ma sich/ ja, – hier beheimatet fühlt.“
F5 (0133 ff), die auch eine Auslandserfahrung ins Treffen führte, meinte: „Meine
persönliche SPRACHE ist das österreichische Deutsch. A:hm, und … des erste
BeWUSSTwerden ist vielleicht durch Arbeitssituationen in der Schweiz stärker
geworden.“ Die Erfahrung, dass man sich des Eigenen erst dann besonders bewusst
wird, wenn man sich im Ausland aufhält, ist ein bei Identitätsdiskussionen immer
wiederkehrendes Motiv, das sich z. B. in früheren Projekten zur diskursiven Kon-
struktion nationaler Identität gezeigt hat (Wodak et al.
1998, 2009, de Cillia/Wodak
2009). Neben F2 und F5 erzählte auch F4 (0114) – deren Tochter „im deutschen
Raum“ arbeitet
– von ähnlichen Erfahrungen, wenn sie ihre Tochter besucht: „Da
spür ich genau dasselbe wie sie das in Berlin erlebt hat. Aso, net so, dass ma belä-
chelt wird, sondern, jaja, des is halt so. Des is halt österreichisch. So auf die Art.“
F9 (0343) bezog sich auf eine Wortmeldung von F1: „Im gleichen Augenblick
wie du (an F1 gerichtet) Identität gsogt host, hab ich auch Identität damit ver-
bunden.“ Und erzählte dann sehr emotional, dass sie ein ganz konkretes Bild mit
dem österreichischen Deutsch verbinde, das mit ihrer schulischen Sozialisation
zusammenhängt, nämlich die in grünem Leinen gebundene Ausgabe des ÖWB
der 1960er- Jahre, das ihr ihre Lehrerin ans Herz gelegt hatte:
Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256