Page - 163 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Image of the Page - 163 -
Text of the Page - 163 -
Um einen weiteren Aspekt der in der Literatur (Clyne 1995, Muhr 1987,
Ammon 1995) genannten geringen „Loyalität“ der eigenen Varietät gegenüber
zu beleuchten, wurden die ProbandInnen in der Fragebogenerhebung auch
danach gefragt, was ihrer Meinung nach der Fall wäre, wenn österreichische
SprecherInnen mit deutschen GesprächspartnerInnen zusammentreffen. Rund
die Hälfte der befragten LehrerInnen und SchülerInnen gab an, dass sich die
österreichischen GesprächspartnerInnen den deutschen GesprächspartnerInnen
sprachlich anpassen würden. Auch dieses Ergebnis wurde durch die Gruppen-
diskussionen bestätigt.
Die Gruppendiskussionen zeigten weiters, dass deutsches Deutsch oft mit
Standarddeutsch gleichgesetzt wird, und Dialektgleichsetzungen mit dem öster-
reichischen Deutsch häufig vorkommen. Als mögliche Ursachen dafür wurden
von den TeilnehmerInnen der Gruppendiskussionen die Aussprache und münd-
liche Eloquenz der Deutschen genannt. Außerdem wurde die Meinung geäußert,
deutschländische SprecherInnen würden sich eher an die Grammatik halten als
österreichische. In den Einzelinterviews wiederum lehnten die meisten LehrerIn-
nen die Aussage, dass „ÖsterreicherInnen weniger gut Standardsprache sprechen
könnten als Deutsche“, auf direkte Nachfrage ab.
Stereotype Einstellungen ergaben weiters die im Fragebogen erhobenen Pola-
ritätsprofile zur Einschätzung von mündlichem österreichischem, deutschländi-
schem und Schweizer Deutsch. Das Deutsch Deutschlands wurde darin tendenziell
als „korrekter“, „gebildeter“ und „direkter“ bewertet; das österreichische Deutsch
hingegen stärker „sympathisch“, „vertraut“, „gemütlich“, „melodisch“, „weich“ und
„natürlich“. Das Schweizer Deutsch schnitt v. a. bei den Merkmalen „schlampig“,
„fremd“, „ungebildet“ und „unhöflich“ am schlechtesten ab.
Sowohl die SchülerInnen als auch die LehrerInnen wurden danach gefragt,
ob es ihrer Meinung nach ein besonders gutes Deutsch gebe, und wo dies zu
finden sei. Während etwa ein Drittel der SchülerInnen der Meinung war, dass
es ein besonders gutes Deutsch gäbe, war das nur bei etwa einem Fünftel der
Lehrpersonen der Fall. Diejenigen SchülerInnen, die meinten, dass es ein beson-
ders gutes Deutsch gäbe, waren knapp mehrheitlich der Ansicht, dass dieses
in Österreich zu finden sei. Unter den betreffenden Lehrenden war nur knapp
ein Fünftel dieser Ansicht.
In einer weiteren Fragenreihe sollten die Befragten für den Zusammenhang
von österreichischem Deutsch und Identität relevante Situationen beurteilen. So
wurden die ProbandInnen etwa danach gefragt, ob es sie stören würde, wenn ein
deutscher Nachrichtensprecher österreichische Nachrichten verlesen würde, oder
wenn sie in österreichischen Speisekarten oder beim Einkaufen auf Deutschlandis-
men stoßen würden. Obendrein wurde gefragt, ob die Befragten österreichisches
Deutsch mit ihrer Identität in Verbindung brächten, ob sie die Abschiedsgruß-
formel „Tschüss“ störe, und ob der Sprachgebrauch in Österreich ihrer Meinung
nach durch deutsche Fernsehsender beeinflusst werde.
Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen
| 163
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256