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Variante sei umso ausgeprägter, je deutlicher dialogisch Äußerungen angelegt
seien. Sie werde in öffentlichen Debatten, von FernsehmoderatorInnen, aber auch
in privaten Gesprächen in sozial und bildungsmäßig „gehobenen“ Kreisen im
urbanen Raum, v. a. in Ostösterreich, verwendet. (XLV). Die beiden Varietäten
der Standardsprache beherrschten auch den Schulunterricht.
In der 1984/85 und 1991 durchgeführten Umfrage von Steinegger (Steinegger
1998; vgl. Wiesinger 2014, 87 – 101), auf die Wiesinger (2010) Bezug nimmt, gaben
79 % der Befragten an, Dialektsprecher zu sein. 50 % gaben den Dialekt, 45 % die
Umgangssprache und 5 % Hochdeutsch als ihre durchschnittliche Alltagssprache
an. Dabei lagen in den Dörfern die Werte bei 62:35:3, bei Großstädtern wurde
die Umgangssprache am häufigsten genannt: 27:65:8. Was das schichtspezifische
Sprachverhalten angeht, nimmt Wiesinger zufolge „der Dialekt von einer unteren
über eine mittlere zu einer höheren Sozialschicht zugunsten der höheren Varie-
täten im Gesamtdurchschnitt von 76:23:1, 47:49:4 und 35:56:9 ab“ (Wiesinger
2010, 363). Beim situationsspezifischen Sprachverhalten sei eine Abnahme der
Verwendung des Dialekts mit zunehmender Distanz zum Gesprächspartner zu
beobachten, von der Domäne Familie und der Kommunikation mit dem Partner
über den Einkauf und den Arbeitsplatz bis hin zum Sprachverhalten vor einem
Amt (a. a.O). Laut Wiesinger lasse sich aber zunehmend beobachten, dass auch in
offiziösen Situation immer mehr der Dialekt um sich greife, und auch die Schule
habe „sich im Unterricht zunehmend auf die Umgangssprache als mündliche
Konversationsform eingependelt“ (364).
Mit der Frage, welche Sprachform die ÖsterreicherInnen am ehesten als „öster-
reichisches Hochdeutsch“ empfinden, hat sich schon Moosmüller (1991) in ihrer
soziolinguistischen Untersuchung über Hochsprache und Dialekt in Österreich
(1991) befasst. Erhoben wurde dabei auch, wie die ÖsterreicherInnen zu ihrer
eigenen Varietät stehen. Moosmüller stellt in diesem Zusammenhang bezüglich
des „gehobenen Deutsch“ in Österreich fest, dass die Existenz einer selbständigen
österreichischen Hochsprache durchaus im Sprachbewusstsein der Österreiche-
rInnen verankert ist und die Befragten die nationale Einheit und Eigenständigkeit
der Republik mit dieser sprachlichen Frage in Verbindung setzen (Moosmüller
1991, 16). Was die Frage angeht, welche Sprachform die ÖsterreicherInnen am
ehesten als „österreichisches Hochdeutsch“ empfinden, identifiziert Moosmüller
(1991, 23 ff) zwei ausschlaggebende Faktoren: nämlich eine regionale und eine
soziale Zuordnung, die entscheidend mitbestimmen, welche Varietät in Öster-
reich als überregionaler, hochsprachlich angesiedelter Standard anerkannt wird.
Der Studie zufolge werden Varietäten, die einer Landesregion Österreichs (aber
nicht Wien) zugeordnet werden, als „nicht für ganz Österreich gültig“ empfunden.
Die Befragten aus den Bundesländern siedelten eine österreichische Hochspra-
che eindeutig in Wien an, und auch in Wien werde das „gehobene Wienerisch“
mit der österreichischen Hochsprache gleichgesetzt. Unter Miteinbeziehung des
Faktors der sozialen Zuordnung meint Moosmüller (1991, 29):
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes52
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256