Page - 179 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Image of the Page - 179 -
Text of the Page - 179 -
Wie auch immer die individuellen Präferenzen der DeutschlehrerInnen aussehen
mögen – die Lückenhaftigkeit des Kodex des österreichischen Deutsch und die
daraus resultierende Notwendigkeit, in Zweifelsfällen ohne Referenzwerk ent-
scheiden zu müssen, wurden in den Interviews sichtbar. Eine Lehrerin aus der
Steiermark (FSt3) nannte Beispiele aus Schülertexten, die bei der Textkorrektur
knifflig wären:
[…] ich steh am Fenster, ich steh beim Fenster is so was typisches/bin gegangen AH,
ich bin gesessen, ich habe gesessen also/ […]. Des kommt auch in [Schüler-]Texten
vor und dann sitzt man schon dort und überlegt: Mmh. Is das jetz richtig?
Dass ein Lehrer als normsetzende Instanz abseits von simplen Rechtschreib- oder
Grammatikfragen letztlich dem eigenen Sprachempfinden vertrauen muss, mit
dieser Vorgangsweise aber immer subjektiv agiert, brachte ein Interviewpartner
aus dem Burgenland (MB1) auf den Punkt:
Wenns jetzt um Rechtschreibung geht oder … um den Fall nach einem Pronomen,
dann orientiert man sich am/am österreichischen Wörterbuch oder am/am öster-
reichischen Duden. Ansonsten
– hält man das für richtig, was man selbst verwendet.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass beim Korrekturverhalten der
Lehrenden in unserem Sample eine Tendenz dazu erkennbar war, bestimmte stan-
dardsprachliche österreichische Ausdrücke als Normverletzung zu klassifizieren
und daher zu korrigieren – darunter eine Reihe von laut Kodex „einwandfreien“
Begriffen, sowie auch vereinzelt solche, die als „Grenzfälle des Standards“ ein-
geordnet werden können (der Kodex ist bezüglich der „Grenzfälle des Standards“
uneinheitlich bzw. lückenhaft). Auf das Phänomen der Korrektur von per se rich-
tigen sprachlichen Formen und Ausdrucksweisen, die von den Kodices eigent-
lich zugelassen werden, weisen auch andere Studien hin (Schmidlin 2017, 51 und
Davies 2017, 137), und es wird durch unsere Ergebnisse bestätigt.
Austriazismen wurden eher korrigiert als nur unterwellt, und sie wurden
auch signifikant häufiger korrigiert als Deutschlandismen. Was die Korrektur von
eigennationalen Varianten betrifft, kommt Gatta (2017, 389) zu ähnlichen Ergeb-
nissen. Sie stellt in einer Untersuchung des Korrekturverhaltens von Schweizer
LehrerInnen in Hinblick auf Helvetismen fest, dass Schweizer Lehrkräfte Hel-
vetismen häufig korrigieren: Gegenstand der Korrektur sind bei den Schweizer
KollegInnen nicht nur lexikalische, sondern vor allem auch syntaktische Varianten,
die als Normverletzung markiert werden, wobei die jüngeren eidgenössischen
LehrerInnen tendenziell etwas toleranter gegenüber Helvetismen zu sein schei-
nen. Dies deckt sich jedoch nicht mit unseren Ergebnissen für Österreich, denn
im Sample der österreichischen Lehrkräfte sind es vor allem die jüngsten Päda-
gogInnen, die die meisten Austriazismen korrigieren. Korrekturverhalten
| 179
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256