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Ähnlich argumentiert Joachim Herrgen (2015), wenn er meint, die Ablösung
des Monozentrismus durch ein Plurizentrismus- Konzept sei in der Mitte des
20. Jahrhunderts deskriptiv adäquat gewesen. „Das 21. Jahrhundert hingegen
ist durch die lingualen Auswirkungen einer neuen Medienrevolution geprägt.
Diese resultieren unter anderem in der Ausbildung transnationaler Oralisie-
rungsnormen“ (Herrgen 2015, 157). An anderer Stelle ist von „supranationa-
len“ Bewertungsmustern die Rede. Für das Deutsche habe „eine neue Phase der
Standardnorm“ begonnen (156). Als empirischer Befund wird im betreffenden
Text eine perzeptionslinguistische Untersuchung zur „Oralisierungsnorm“ des
Standardsprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz berichtet, in der
drei sehr standardnahe Texte geschulter professioneller Nachrichtensprecher
(ARD, ORF, DRS) und als intendierte Standardsprache einzustufende Texte junger
AkademikerInnen aus Trostberg (Deutschland), Feldkirchen (Österreich)25 und
Sattel (Schweiz) Studierenden in Fribourg, Wien und Marburg zur Beurteilung
präsentiert wurden. Ergebnis: „Die Beurteiler aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz sind sich völlig einig, dass die deutsche Probe diejenige ist, die dem
standardsprachlichen Pol am nächsten kommt“ (155), wobei in Österreich auch
die österreichische Sprachprobe als „reines Hochdeutsch“ akzeptiert wurde. Die
Schweizer Sprachprobe werde hingegen auch von den Schweizer ProbandInnen
nicht als „reiner Standard“ klassifiziert. Diese empirischen Daten können natür-
lich problemlos im Rahmen einer Theorie der Plurizentrik interpretiert werden,
worauf auch der Verfasser hinweist (Asymmetrie zwischen D- und A-Varietäten;
linguistic cringe, vgl. Kap. 2.4.1). Herrgen schließt daraus jedoch, dass „für das
Deutsche eine neue Phase der Standardnorm begonnen hat“ (156), da die ent-
scheidenden Medien sich immer stärker entnationalisierten. Die neuen Medien,
insbesondere das Internet operierten global statt national. Unter diskursana-
lytischem Blick fällt auch in diesem Text auf, dass FachkollegInnen „nationale
Engführungen“ (142) unterstellt werden, dass die Diskussion v. a. in Österreich
mit einer „eher politisch als linguistisch motivierten Verbitterung“ geführt werde
(a. a. O.), und dass „nationalistische Argumentationen“ in dem Zusammenhang
völlig fehl am Platz seien.
Die offene Infragestellung einer österreichischen Staatsnation findet sich bei
Seifter & Seifter (2015), die sich auf Seiten der Pluriarealisten positionieren (66).
Auf die im Duktus sehr polemische und in mehrerer Hinsicht für einen wissen-
schaftlichen Text grenzwertige Arbeit näher einzugehen, ist hier nicht der Ort.26
25 Welches der zumindest drei Feldkirchen in Österreich (in Kärnten, an der Donau, bei Graz)
gemeint ist, wird nicht präzisiert.
26 Das beginnt damit, dass der Beitrag in keiner Weise auf den Vortrag, auf den sich der Titel
bezieht, eingeht. Bei der Konstruktion eines Feindbilds „Plurizentriker“ werden mehrere Auto-
rInnen völlig undifferenziert in einen Topf geworfen. VertreterInnen anderer wissenschaftlichen
Konzepte werden abwertend abqualifiziert, ihnen werden unlautere Motive unterstellt (So fin-
det sich der Ausdruck „Lügen“ in einem Zitat von Scheuringer 2016, 381.), in Umkehrstrategie
Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256