Page - 152 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Image of the Page - 152 -
Text of the Page - 152 -
einer „argumentativen Eloquenz“, die bis in die Körpersprache hineinreichen würde.
Im österreichischen Deutsch dagegen würde man „herumreden“ und eine „argu-
mentative Weichheit“ an den Tag legen. Eine andere Teilnehmerin (F3) beschrieb das
österreichische Deutsch als vorsichtiger, es sei „südländischer“. Bei vielen Wortmel-
dungen in der Gruppendiskussion zu diesem Thema fielen Satzbrüche, Hesitationen,
zögerliche Antwortmuster und Relativierungen auf, die Unklarheit und Unsicherheit
ausdrücken, wohl auch, weil sich die erwähnten Äußerungen häufig an der Grenze
oder jenseits der Grenze von sprachideologischen Stereotypen bewegt haben.
Was in den Gruppendiskussionen häufig angesprochen wurde
– nämlich dass
ÖsterreicherInnen die Standardsprache nicht so gut beherrschen würden wie
Deutsche – haben viele LehrerInnen auf direkte Nachfrage („Manche meinen,
dass Österreicher nicht so gut Deutsch sprechen können wie Deutsche. Würden
Sie dem zustimmen?“) in den Einzelinterviews allerdings zurückgewiesen:
Diese Meinung sei „lächerlich“, meinte eine Lehrerin aus Niederösterreich
(FN2). Eine Tiroler Lehrerin (FT2) war entrüstet: „Ah
– ich halte das für eine/für
eine unanständige Aussage
… dass die Deutschen ihr Deutsch für DAS Deutsch
halten, is das Problem der Deutschen und nicht der Österreicher“, meinte sie
lachend. Und die Sache sei „gepaart mit einer gewissen deutschen Überheblich-
keit“, wie eine oberösterreichische Lehrerin bemerkte.
Für einen Lehrer aus der Steiermark (MSt2) lag die Wurzel des Problems darin
begründet, dass eine nationale Varietät zur supranationalen Norm erhoben wird:
„Oida. Ein alter Hut. Sie [die Deutschen] sprechen anders Deutsch. Wenn i aller-
dings das Bundesdeutsche zur Norm erhebe, dann hab i Probleme, weil dann
weicht das Österreichische ab.“
Aber einige LehrerInnen stimmten der in der Gruppendiskussion mehrfach
geäußerten Annahme, dass Deutsche besser Deutsch sprechen würden als Öster-
reicherInnen, auch in den Interviews zu. Ein Lehrer aus Salzburg sprach von
„sprachlich schwächeren“ österreichischen SprecherInnen:
Wenn ma sich Debatten im deutschen Parlament anhört, und Debatten im ÖSTER-
REICHISCHEN Parlament anhört, stellt man Unterschiede fest, ja?
[…] Das heißt, das
deutsche Deutsch klingt natürlich unglaublich eloquent, überzeugend, selbst sicher
[…]
Das ÖSTERREICHISCHE is meistens doch sprachlich schwächer. Sprachlich schwä-
cher, weniger überzeugend.
Ein anderer Lehrer aus Salzburg (MSa4) postulierte ebenfalls eine höhere Elo-
quenz der deutschländischen SprecherInnen:
Hörn Sie sich mal ein Interview eines deutschen Fußballers und eines österreichischen
Fußballers an. Ahm
- - also ich spreche nich vom Burchtheaterdeutsch, aber ahm die
Eloquenz in der mündlichen Sprache is sicher ahm bei Bundesdeutschen im Schnitt
wahrscheinlich besser ausgeprägt als bei uns.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen152
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256