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36 KAPITEL1. VORFAHREN
auch gegenüber der damaligen Staatsmacht, auchwenn er sie politisch zutiefst ablehnte.
Wie auch nach demKrieg wird er auch zu jener Zeit sich zu allen freundlich und ver-
bindlichverhaltenhaben, auchwenn ihmsein innererKompaßeineganzandereRichtung
vorgab.Dadurch blieb er imneuenMachtgefüge unauffällig, da er seine politischeOppo-
sition als solche verdeckthielt undnichtnachaußenmit zu jenerZeit sinnlos gewordenen
Einzelaktionen umsetzte.Wennmanwollte und genauer hinsah, konnteman seine Ein-
stellung jedoch durchaus erkennen, weil er beispielsweise der Unterdrückung vonKritik
öffentlich entgegentrat und dieÄchtung von durch das SystemAusgestoßenen nichtmit-
machte, sondernauch zu ihnen einunverändertesVerhaltenbeibehielt,wie ihmspäter im
Rahmen des Spruchkammerverfahrens von glaubwürdigen Zeugen ausdrücklich bestätigt
wurde. Infolge seinesgelegentlichenmutigenVerhaltens sollmeineMutter,die selbstnicht
NSDAP-Mitgliedwurde, zu ihm gesagt haben:93 Dich werden's nochmal hängen. Auch
die NSDAPGauleitung bestätigt ihm für die Zeit vor dem 5.3.1933: Gegner der NSD-
AP . Sie beurteilt ihn 1938 aber aufgrund seines dann eher unauffälligen Verhaltens so:
Heute ist sein Verhalten einwandfrei , politisch zuverlässig , anständiger Charakter ,
bejaht den nat.-soz. Staat , Nachteiliges nicht bekannt usw.94AufdieseWeisewurde er
insgesamt einerseits seinen Verpflichtungen gegenüber der 1938 wachsenden Familie ge-
recht, für deren verantwortungsvolleWahrnehmungwirKinder ihmheute noch dankbar
seinmüssen, und bewahrte sich dabei gleichwohl seine innere charakterlicheWürde.
Aus heutiger Sicht interessieren uns die Jahre nach 1933 und vor 1939 vor allemunter
demGesichtspunkt derNS-Zeit und ihrerAuswirkungen, denenwir daher in diesemAb-
schnitt so viel Raumgegeben haben.Dabeiwaren diese Jahre fürmeineElternwohl viel
mehrdurch ein ansonstenvöllig normalesPrivat- undBerufslebengeprägt.Am27.2.1935
wurdedasersteKind,Annelore,geboren.NacheinerBekundungvonAnniBauersollmein
Vater nach ihrerGeburt geäußert haben, daß er sie anders als vonGoebbels demVolk
propagiert zueiner selbstbewußtenunddemokratischenDeutschenheranziehenwerde,
einweitererHinweis auf seine innereDistanz zumSystemHitler. Der imAbschnitt 1.1.3
bereits angesprochene Erweiterungsumbau desHauses warwohl noch rechtzeitig vor der
Schwangerschaft abgeschlossenworden.
Noch waren die Jahre vor dem Krieg für die Familie relativ angenehm. Ungeachtet
der erheblichen beruflichen und häuslichen Inanspruchnahme wurden Reisen unternom-
men und es wurde weiterhin gern gefeiert. Am 28.10.1938 folgte dann das zweite Kind,
Wolfgang.VierWochendarauf gabesauch imParterredesWohnhausesdenerstenNach-
93AndiesenAusspruch erinnerte sichmeine Schwester (mitgeteilt 6.5.2015).
94SiehevierunterschiedlicheFragebögenzurPolitischenBeurteilungsowiezehnbeurteilendeSchreiben,
BundesarchivAkte, aaO. Fußnote 67.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427