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38 KAPITEL1. VORFAHREN
Vohenstraußwar in einerkulturell besonderenLage.DieOberpfalzmit ihrerMetropole
Regensburg ist seit etwa 1620 bis heute ein streng katholisches Land. Vohenstrauß war
aber ab dem 16ten Jahrhundert Pfälzisch, genauer gehörte es damals zum Herzogtum
Pfalz-Neuburg. Kurzzeitig war es sogar Residenzstadt, wovon noch heute das dortige
Schloß Friedrichsburg zeugt. Nach dem cuius regio, eius religio Prinzip wurde daher
Vohenstrauß eine evangelische Enklave und Sammelplatz vieler evangelischer Christen
innerhalb der katholischen Oberpfalz. Die Religion spielte daher wohl immer eine ganz
besondere Rolle in dieser Stadt. Für Bürger mit dem passenden Namen Bibel konnte
das nur förderlich sein, solange sie sich auch entsprechend verhielten.
Irgendetwas Außergewöhnliches muß in der Vohenstraußer Familie Bibel in der zwei-
tenHälfte des neunzehnten Jahrhunderts vorgefallen sein. DennmeinUrgroßvater, eben
jener Johann Erhard Bibel, und seine Frau haben ihr stattliches Haus amMarktplatz96
am22.4.1871 für 10.400Gulden verkauft. DasAnwesenwar ihnen am13.7.1859 von den
Eltern dieses Johann überschrieben worden. SeineMutter war 1863 gestorben, aber der
1871 siebzigjährige Vater Johann Georg lebte mutmaßlich dort noch immer. Auch die
Verkäufer lebten darin noch einige Jahre weiter. NachGeburt des sechstenKindes 1875
in Vohenstrauß sind sie dann vorMai 1877 nach Sulzbach (Oberpfalz) umgesiedelt, wo
am 12.5.1877 das siebte Kind geboren wurde. Ausgerechnet amTag nach dieser Geburt
starb in Vohenstrauß Johann Georg, der Großvater dieses Kindes. Anfang der 1880er
Jahre ist die Familie dannweiter nachNürnberg-Gleishammer gezogen.97Mit diesen
für damalige Verhältnisse extrem turbulenten Veränderungen war offenbar ein dra-
matischer wirtschaftlicherAbstieg verbunden, denn inNürnberg arbeitete der vormalige
Brauhaus-Besitzer JohannErhard dann irgendwann als Lagerarbeiter.
Was vorgefallen ist undwas derGrund für diesenwirtschaftlichenAbstiegwar, konnte
ich nicht ausfindigmachen. In einer inVohenstrauß vorgefundenenNotiz heißt es: Bibel
selbst ging späterKonkurs. Aberwarumsollte ein familiärerBetriebmit stattlichemund
amzentralenStadtplatzgelegenenHausbesitzundetwasLandwirtschaft inderdamaligen
Zeit inKonkurs geraten? In unserer Familie wurde davon gesprochen, dieserBrauereibe-
sitzerhabe seineBrauerei selbstversoffen ,was wennesnichtalsSpaßgemeintwar
manalsHinweis aufAlkoholismus alsmöglicheUrsachedeutenkönnte.Ua. dadasdama-
96Das Anwesen war 2008 im Besitz der FamilieWerner Ochantel, einemNachfahren der Käufer von
1871. Es ist zwar schön renoviert; die alteAnlage ist aber nochweitgehend erhalten.
97Die sich in Nürnberg besonders erfolgreich gestaltende Industrialisierung führte in der Gründer-
zeit amEnde des neunzehnten Jahrhunderts zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerungszahl von
63.000 Einwohnern im Jahre 1860 auf 261.000, dh.mehr als das Vierfache, zur Jahrhundertwende 1900
(http://www.atlas-europa.de/t04/bevoelkerung/europ_staedte/pdf/BevStaedte-Tabelle_dt.pdf, Zugriff
25.9.2016).DieFamiliemeinesUrgroßvaters ließ sichvondiesemSogoffenbarmitreißen, umdieExistenz
sichern zu können.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427