Page - 82 - in Reflexionen vor Reflexen - Memoiren eines Forschers

82 KAPITEL2. KINDHEIT Vorsicht zwar untereinander aus, übten möglichenWiderstand imKleinen aus, mußten sich darüber hinaus aber ihreMachtlosigkeit eingestehen undmit Geduld auf den Zeit- punktwarten, zu dem einEngagement hin in eine bessereRichtungwiedermöglichwar. DieserZeitpunktwarerstnachBeendigungdesKriegesgekommen.Die erstaunlich rasche Erholung Deutschlands von da an in Bezug auf seine politischen und organisatorischen Strukturenwar nicht zuletzt auchdieser kleinen, in dieser prägendenZeit aber umso ein- flußreicherenBevölkerungsschicht geschuldet, die demDenken in derNachkriegszeit eine neueundnachhaltigereRichtunggegebenunddadurchdieseerstaunlichpositiveEntwick- lungmaßgeblich beeinflußt und vorangetrieben hat.DieseBevölkerungsschicht bildete so eine Keimzelle für den raschen Aufbau eines demokratischen Deutschlands, woran sich meinVater in engagiertesterWeise beteiligte. Aufgrund all dieserGesichtspunkte halte ich aus heutiger Sicht dasUrteil der Spruch- kammer übermeinen Vater eindeutig für ein Fehlurteil. Hans Bibel war Teil dieser sich bedeckt haltendenundmitVorsicht operierendenOppositionsgruppe und eben keinMit- läufer. Das Urteil hat den formalen Tatbestand der Parteizugehörigkeit und nicht den tatsächlichen Sachverhalt beurteilt. Es beruhte nicht auf eingehender Reflexion, sondern nuraufeinembürokratischenReflexaufeinenFormulareintrag,wieer inallenBürokratien bis heutemassenhaft und nur allzu oft einsichts- und geistlos stattfindet. Stattdessen hätte das Urteil gerechterweise der eigenen Eingliederung vonHans Bibel in dieGruppe der Entlasteten folgenmüssen, derenMerkmal lautGesetz einwie immer auch gearteter Widerstand gewesen ist.74 Angesichts der Masse der Spruchkammerver- fahrenundder bekannten teilweisemangelndenProfessionalität ihres richterlichen Per- sonals waren solche Fehlurteile in die eine und andere Richtung leider eher häufig.75 So wurde beispielsweise Hauptlehrer PaulGeorgHerrmann ausWarmensteinach bzw. Bay- reuth, ein Gründungsmitglied des NSLB, Reichshauptstellenleiter für das Dritte Reich 74Punkt 13 imMeldebogen vom25.4.1946, aaO. Fußnote 14. 75Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu wollen, sei daran erinnert, daß auch die Amerikaner im Prozeß der Entnazifizierung nur bedingt eine gute Rolle gespielt haben, ungeachtet ihrer großen Hilfe zumWiederaufbau desWestdeutschen Staates. Denn letztlich geht es inmenschlichenGesellschaften so gut wie immer darum, zugunsten der Mächtigen die weniger Mächtigen vor allemMinderheiten zuunterdrücken.Gerecht geht es dabei nie zu.Daswar unterHitler so mit exzessivenAuswirkungen ua. gegenüber derMinderheit der Juden. Und das haben die Amerikaner nach demKrieg auch wieder relativwillkürlich inDeutschlandpraktiziert.Dabei haben sie imVerlauf ihrer eigenenGeschichte selbst genügend derartige Schuld auf sich geladen, gegenüber den Ureinwohnern von Amerika, den schwarzen Sklaven, im zweitenWeltkrieg gegenüber denbereits eingebürgerten Japanern, danachwieder gegenüber den Schwarzen, aber auch denLatinos, umnur einigeBeispiele dafür aufzuzählen.