Page - 83 - in Reflexionen vor Reflexen - Memoiren eines Forschers
Image of the Page - 83 -
Text of the Page - 83 -
2.3. DIEZEIT INGEORGENSGMÜND 83
undüberzeugtesterNazi, ebenfalls alsMitläufer eingestuft76 und somitmeinemVater in
einenTopf geworfen, was dieser als schreiendesUnrecht empfunden habenmuß.
ZumAbschluß dieser aus gutemGrunde sehr ausführlichen Darlegungen sei noch auf
einen letzten aufschlußreichen Unterschied zwischen den üblichenMitläufern und einem
kritischenGeistwiemeinVaterhingewiesen.PaulHoser schreibt alsResümee seinerDar-
stellungderEntnazifizierung:77 DieMehrzahl der kleinenParteigenossenwar sich keiner
Schuld bewusst und fühlte sich trotz aller öffentlichenAppelle an ihrGewissen zuUnrecht
bedrängt mangefiel sich in seinerOpferrolle. InkrassemGegensatzdazu sagte einmal
meinVater zumirkurzundbündigetwadasFolgende, als ich ihnalsJugendlicheraufdas
DritteReichund seinemöglicherweise auchpositivenAspekte ansprach:EinRegime, das
soviel Unglück über seinVolk und dieWelt brachte, hat dadurch auch den letzten Funken
anAnerkennung verspielt.Hätte sichHansBibel in einerOpferrolle gefallen, hätte er das
zumindest seiner Familie gegenüber zumAusdruck gebracht, was nie geschehen ist.
Um den roten Faden wieder aufzugreifen, erinnere ich daran, daß wir in diesem Ab-
schnittbeiderBeschreibungdesNeuanfangsnachBeendigungdesKriegesangelangt sind.
Wie ichbis hierher geschildert habe,wurdedieserNeuanfangmeinenElterndurchunver-
schuldete Schicksalsschläge sehr erschwert, nämlich durch die lebensbedrohende Krank-
heitmeinesVatersunddurchdessenungerechtfertigte undnacheinemeineinhalbJahre
dauerndenVerfahren schließlich rückgängiggemachte EntlassungausdemSchuldienst.
Mußte schon allein die Vernichtung des gesamten Eigentums den Lebensmut meiner
Eltern nahezu aufNull gebracht haben, so kannman sich bei diesen beiden zusätzlichen
Schlägenkaummehrvorstellen,wiesiedieKraftdafüraufbringenkonnten,sichtrotzallem
nichtunterkriegenzu lassen.Siehabendabei fastUnmenschlichesgeleistet.Beispielsweise
haben sie die mit der Entlassung des Vaters entstandenen Sorgen nicht auf ihre Kinder
übertragen. Weder meine damals schon fast zwölfjährige Schwester noch ich haben bis
heutevondieserEntlassung etwasgewußt (oder sie damals als unbedeutendgleichwieder
vergessen). Erst dieArchivrecherchen haben dieseTatsachen ansTageslicht gefördert.
Anstatt zu lamentieren haben meine Eltern aus dieser belastenden Not sogar noch
eineTugend gemacht und die durch dieArbeitslosigkeit verfügbar gewordene Zeit sofort
zur Inangriffnahme des Wiederaufbaus unseres Elternhauses genutzt. Bevor ich davon
berichte, will ich nun aber erst einmal auf das normale Leben unserer Familie in jener
Zeit eingehen.
76ThomasSchörner,PaulGeorgHerrmann Familienforscher undNSLB-Funktionär,Blätter für frän-
kischeFamilienkunde,Hrsg.Gesellschaft für Familienforschung inFranken, Bd.38, 189-202, 2015.
77Paul Hoser, Entnazifizierung. In: Historisches Lexikon Bayerns. http://www.historisches-lexikon-
bayerns.de/artikel/artikel_46003, Zugriff 30.7.2015.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427