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88 KAPITEL2. KINDHEIT
Dieser frühe, intensive und unmittelbare Kontakt zur Natur und demWirken darin
hatmeine Sinne geschärft undmich zeitlebens beeinflußt. Schon damals lauschte ich den
Vögeln in den Bäumen oder beispielsweise auch dem Rascheln der im Herbst reichlich
gefallenenKastanienblätter,wennmandurchdieseBlätterhaufenhindurch schlurfte (zB.
imWirtschaftsgarten des BayerischenHofes in der unmittelbarenNachbarschaft unserer
Wohnung). Diese Blätter eigneten sich nachmeiner damaligenMeinung auch zuExperi-
menten auf dem Sektor der Tabakherstellung und des Rauchgenusses, die entsprechend
auch durchgeführtwerdenmußten.
Ein echter saisonaler Höhepunkt war in all diesen Jahren die Hopfenernte ab Ende
August. Vor allem beim Hopfenbauern Merkenschlager in Hauslach haben wir uns als
Zupfer verdungen. Da saß man dann den ganzen Tag gemeinsam mit einem Dutzend
andererPflücker auf einemHocker imHopfengarten und zupfteDolde fürDolde vonden
Reben inWeidenkörbe. Für jeden vollenKorb gab es eineMarke, dieman amSchluß in
Geldoder inbäuerlicheErzeugnisse eintauschenkonnte, also ein rein leistungsorientiertes
Verfahren.
Auch hier brillierte ich nicht durch auffallende Leistungen, sondern genoß den wun-
derbarenGeruch vonHopfen und die vielen Anregungen und Entdeckungen, die sich in
einemsolchenGarten inderGemeinschaftvonentspanntenMenschenbei einerderartigen
Tätigkeit boten. Eswurde dort viel erzählt, gesungen und gelacht.Aus denErzählungen
bekam ich mit, daß der Sohn der Merkenschlagers Professor sei, was mit der Aura ei-
ner besonderen Hochachtung mitgeteilt wurde.80 Mittags kam dann das Fuhrwerk mit
einemdeftigenEssenwie beispielsweise Schweinefleisch,Kraut undKartoffeln: eine köst-
liche Mahlzeit auf dem Felde in einer fröhlichen Gemeinschaft! Jedenfalls in Bezug auf
dasHopfenzupfen hat uns dieAutomatisierung derMöglichkeit dieser hier angedeuteten
herrlichenErlebnisse beraubt.81
Besonders erinnere ichmich in diesemKontext anmeinenOnkel Loni (Rackelmann),
einCousinmeinerMutter,dermichmitvielenKunststückchenunterhaltenhatundmeine
volle Sympathie genoß.Dabei soll er vor demKrieg alsMitglied derNSDAP-Gauleitung
an häßlichen Nazi-Operationen sehr übereifrig beteiligt gewesen sein, dann aber nach
80Es handelt sich um den Agrikulturbotaniker Friedrich Merkenschlager, über den unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_MerkenschlagerDetailliertes undBemerkenswertes zu finden ist
(Zugriff 3.7.2015).
81Über das vomHopfenanbau geprägteDorf gibt das folgendeBüchlein detailliert Auskunft: Barbara
und Fritz Volkert, Brigitte Schwarz, Hauslacher Erinnerungen 700 Jahre Hauslach 1316 2016, Geor-
gensgmünd, 2016.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427