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2.3. DIEZEIT INGEORGENSGMÜND 91
quasi als Einzimmer- Apartment mit Küche provisorisch hergerichtetwerden konnten.
Dies hatmeinVaterwohl als erstes inAngriff genommenund sich so eineBleibe vorOrt
für die Arbeiten im Rahmen der Planungen und der Durchführung desWiederaufbaus
geschaffen.VondenentsprechendenplanerischenBemühungenhabe ichnichtsmitbekom-
men, was mir in Erinnerung geblieben wäre. So kann ich aufgrund der Unterlagen nur
feststellen, daß bereits am 16.9.1946, also wenigmehr als ein Jahr nachKriegsende, un-
terzeichnetvonmeinemVaterunddemPlanfertigerSchuh, ein entsprechenderBauantrag
an die StadtNürnberg gestellt wurde.
DieDurchführungdesBauseinesDreifamilienhauses ist auch innormalenZeiten für je-
dermanneineHerausforderung. IndenJahren1946/47wardieMeisterungdieserHeraus-
forderungangesichtsdeswirtschaftlichenZusammenbruchs85nurganzwenigenBauherren
gelungen.86ZudiesenwenigenBauherren gehörtenmeineEltern, die es schafften, daßdie
Familie bereits imNovember 1947wieder in ihrHaus inMögeldorf einziehen konnte.Die
extremenSchwierigkeitenbestandenüberdie brachliegendeVolkswirtschaft hinaus inder
von den Alliierten weitergeführten Zwangsbewirtschaftung, in einem daraus sich erge-
benden gravierendenMangel an den erforderlichenMaterialien und, verbundendamit, in
einemflorierenden Schwarzmarkt undTauschhandel. Angesichts der über fünfMillionen
gefallenen deutschen Soldaten und vieler weiterer Kriegstoten87 waren die kompetenten
Handwerksbetriebe so gutwie ausgeblutet und konnten ihreArbeit nach demKrieg nur
sehr langsamwieder aufnehmen.MeineEltern haben in den späteren Jahren vondermit
demWiederaufbau verbundenen außerordentlichen Leistung nie ein Aufheben gemacht.
Erst wennman selbst Bauvorhaben in normalen Zeiten durchgeführt hat, kannman das
Außerordentliche dieser Leistung in jenenZeiten des extremenMangels ermessen.
Aufgrund der stehen gebliebenenGrundmauern aus Sandstein waren der planerischen
Freiheit engeGrenzen gesetzt. Dabei sollte das Hausmit seiner bald einhundertjährigen
GeschichtenatürlichauchandenneuestenStandardderBautechnikangepaßtwerden. Im
Ergebnis gelang zum einen ein derart schön umgestaltetes Haus, daß dieses Jahrzehnte
später indieDenkmallistedesBayerischenLandesamtes fürDenkmalspflegealsBaudenk-
mal eingetragenwurde.ZumanderenerreichtenmeineElterneinenQualitätsstandardauf
sohohemNiveau,daß sichdieWohnungennochJahrzehnte späterundnachentsprechen-
85Die Industrieproduktion beispielsweisewar auf einDrittel desVorkriegsniveaus gesunken.
86In dem Artikel Walther Kluge, Der Wiederaufbau des Realgymnasiums. In: 100 Jahre Realgym-
nasiumNürnberg Jubiläumsschrift, Nürnberg, 1964, S.44 53. werden beispielsweise die Bemühungen
des Direktorsmeiner Schule geschildert, dem einzig verbliebenen Schulgebäude auch nur zu einemwas-
serdichten Dach zu verhelfen, was erst nachmehr als drei Jahren 1948 endlich gelang, obwohl höchste
Dringlichkeit und öffentliches Interessemehr als gebotenwar.
87https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegstote_des_Zweiten_Weltkrieges#Deutschland,
Zugriff 3.7.2015.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427