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3.1. ENDEDERGYMNASIALZEIT 157
nenvondreiFremdsprachen fürmichbedeuteten.VonbeidenAspektenwird imweiteren
Verlauf dieRede sein.
Oberflächlich betrachtet sind wir Menschen im Normalfall mit den gleichen Anlagen
ausgestattet. Unsere demokratischen Strukturen gehen daher auch davon aus, daß alle
Menschen vordemGesetz gleich sind.Niemandwill offen zugeben, daß seinKollege
oder Nachbar ihn in irgendeinerWeise übertrifft. Genauer betrachtet sind die mensch-
lichen Anlagen von Individuum zu Individuum aber extrem unterschiedlich ausgeprägt.
So habe auch ich Stärken, teilweise sogar extreme Stärken, von denen später noch die
Rede sein wird. Aber genauso habe ich auch Schwächen. Einemeiner Schwächen ist ein
auffallendes Merkmal meines Gedächtnisses: ich kann mir nur sehr schwer Namen und
Bezeichnungenmerken. Vor allem ringe ich imGespräch oft um den richtigenAusdruck
zur Bezeichnung eines Gegenstands, der mir dann partout nicht einfallen will. Ich kann
dannallesMögliche zurCharakterisierungdesGegenstandsberichten, nur ebennichtdas
entscheidendeWort, das ihn bezeichnet.
Nun könnte man einräumen, daß dies einer schreibt, der auf die Achtzig zugeht. In
diesemAlter ist es ja nichts Ungewöhnliches, daß dasGedächtnis allgemein (ebenso wie
andereFähigkeiten)nachläßt. InmeinemFallbin ich jedochsicher,daßmichdieseSchwä-
chebereits einLeben langbegleitet hat.Beispielsweise hatmich schonals etwaSiebzehn-
jähriger ein Kamerad im Gespräch nach demNamen meines damaligen Deutschlehrers
gefragt, also einesLehrers, den ichwöchentlichmehrereStundenerlebenkonnte. SeinNa-
me, Zinecker,wolltemir jedochpartout nicht einfallen.Dieses undbeliebig viele ähnliche
Beispiele aus meinem ganzen Leben zeugen von dieser meiner spezifischen Gedächtnis-
schwäche.5Mankanndurch entsprechendesÜbeneine solcheSchwächeabmildern; gleich-
wohl hat es derjenige einfach viel leichter, der in dieserHinsicht schonvonNatur ausmit
einer besserenBegabung ausgestattet ist.
DasErlernen einer fremdenSprachebeinhaltetua. dasMemorierenvonTausendenvon
Worten: lateinisch agricola heißt deutsch derBauer, bellumheißt derKrieg, cantare sin-
gen,usw.usf.Lateinweist zudemeine zwar sehr systematische, aber extremvielgestaltige
Grammatik imHinblick auf Konjugation etc. auf. Es genügt daher nicht, die lateinische
Bezeichnung für ein einzelnesVerb zu erlernen;manmuß sich zusätzlichDutzende seiner
Beugungsformen einprägen. Zwarwerden diese innerhalb einer Verbklasse, von denen es
einige gibt, analog gebildet. Gleichwohl gibt es dazu wieder Hunderte von Ausnahmen,
den sogenannten unregelmäßigen Verben, deren Erlernen nur durch eine entsprechen-
de Gedächtnisleistungmöglich ist. Kurz, das Erlernen einer Fremdsprache erfordert ein
5Im Tagebuch I (TBI) habe ich mir auf den Seiten 68f schon 1963 Gedanken über diese Schwäche
gemacht.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427