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168 KAPITEL3. ZIELSUCHE
regt haben könnte. Schon dieses Fehlen jeglicher Erinnerung deutet darauf hin, daß dem
KampfnachmeinemdamaligenEmpfindennichtsungewöhnlichProvozierendesvorausge-
gangenwar.Vielleichtbin icheinfachnurwiedermeineneigenenGedankennachgehangen
und habe den armenMann einfach ignoriert oder habemitmeinemNachbarn geschwäzt
oder wie mutmaßlich bei Ruisinger ihn (abwesend) angegrinst oder was auch immer an
äußerlich relativ harmlosen Verhaltensformen vorstellbar ist. Jedenfalls fühlte sich der
Referendar durchmeinVerhalten offenbar derartmißachtet, daß er reflexhaftmeinte sich
mitBrachialgewaltRespekt verschaffen zumüssen.
Wennwir nun schon beimRuisinger-Phänomen sind, will ich diesemVorkommnismit
Blödel gleich noch die Schilderung eines viel bedeutenderen Geschehens folgen lassen.
Schon im letztenAbschnitt habe ich ohne genauereHinweise eineweitereUrsache für die
Verschlechterungmeiner schulischenLeistung inder siebtenKlasse angedeutet unddabei
auf späterverwiesen.GemeintdamitwardasGeschehen,das sichwie folgtabgespielthat.
Schon imAbschnitt 2.5 hatte ich davon berichtet, daß sich derAltbau unserer Schule,
der die Bombenangriffe wenn auch beschädigt überlebt hatte, in einem desola-
ten Zustand war, den unser damaliger Direktor Kluge wie folgt beschreibt:15 Auf dem
Flur jedes Stockwerks lagerte der Kohlenvorrat für die Klaßzimmer. Hinter den zusam-
mengestückelten Türen saßen dicht gedrängt die Schüler bei wenig frischer Luft. In zwei
Klaßzimmern von weniger als 20qmGröße drängten sich über zwanzig Jungen in uralten
Bänken bis dicht vor die Tafel. An derWand neben den Bänken hingen die oft nassen
Wintermäntel derSchüler, die anderOfenseite saßen.DurchdieFenster, andiedieBän-
ke herangerücktwerdenmußten, zog es so erbärmlich, daß die Schüler an derFensterseite
dieMäntel anbehaltenmußten, während ihreKameraden an derOfenseite schmorten.
Herr Kluge hat den Zustand dieser beiden Räume an der Nordseite des Gebäudes im
erstenundzweitenStocksozutreffendbeschrieben,alswenner ihnselbstdarinalsSchüler
erlebt hätte. Als Lehrer hat er die Erfahrungmöglicherweise selbst gemacht.Wegen der
Raumnot wurden wir im Laufe einerWoche in unterschiedlichen Räumen unterrichtet.
Tatsächlich erhielt auchunsereKlassemit über zwanzig , genauermit exakt 32Schülern
zeitweise in einem dieser beiden Räume16 im ersten Stock Unterricht. Kurz nach dem
Krieg hat sich an solchenVerhältnissen niemand gestoßen.Mehr als ein Jahrzehnt nach
Kriegsendewar dasVerständnis für derartige Schulverhältnisse jedochweitgehend aufge-
braucht. ImSchuljahr1955/56standenaber1002Schülernverteiltauf31Klasseneinheiten
mit einerdurchschnittlichenKlassenstärkevon33nurganze13Klassenzimmer zurVerfü-
15WaltherKluge, aaO., S.46. EinBild desGebäudes, aufgenommen kurz vor dessenAbriß, findet sich
imFAWB3, S.19.
16Es handelte sich in der damaligenNummerierung umdenRaum11.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427