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3.5. STUDIUM 233
herüberhauptnichtauf irgendwelchesexuellenAbenteueraus, sondernerkundete intensiv
mein völlig ungebundenes Sein in einer schönenWelt.
DasÜbernachtenmitten inderNatur unddieTage ohnedenüblichen zivilisatorischen
Komfort hinterließen inmir einen tiefen und bleibendenEindruck. SelbstmeineKamera
hatte ich bewußt zuhause gelassen, ummich ganz allein aufmeineUmwelt konzentrieren
zu können. Auf der Rückreise machte ich noch einen Abstecher an den Tegernsee, um
Traudl dort zu besuchen, der schon imAbschnitt 3.2 erwähntwurde.Erstaunlicherweise,
oderbesserbezeichnenderweise, istdie tiefsteErinnerungandiesenAbstecherdas soganz
andere Schwimmen in diesem kühlen undweniger tragenden Seewasser imVergleichmit
dem im salzigenMittelmeer und nicht dieBegegnungmit ihr.
Besonders diese Reise verdeutlicht meine damalige, zweifelsohne recht außergewöhnli-
cheEntwicklungeinessuchendenJünglings,dermöglicheLebenswegebewußtundintensiv
auszulotenversuchteundsichnichteinfach imStrommittreiben lassenwollte.Reflexionen
vorReflexen drängte sich als Lebensmotto unaufhaltsam indenVordergrund.DieseEnt-
wicklung zeigte sich in jenen Jahren nach demAbitur in vielfacherWeise, beispielsweise
beimeinenReisen, nicht nur bei dieser nach Saint-Tropez.Von denjenigen 1959/60 nach
Riezlern,KaiserslauternundParishabe ichschon imAbschnitt3.2berichtet.Zweimalzog
esmich zuKurzbesuchennachMünchen,157 derdamaligen heimlichenHauptstadtWest-
deutschlands ,wo ich einmalbei dembefreundetenDetlevSchmitter158undeinandermal
beiKlausFleischmann, demBruder vonGerd, logieren konnte.Diese beiden hatten dort
ihrStudiumbegonnen.VonzweiweiterenReisennachBerlinundLiechtenstein soll gleich
noch dieRede sein. Bei all diesenReisenwar ich allein unterwegs.
Fürmeine Eltern war es nicht ganz einfach, Verständnis für meine aus der Norm fal-
lende Entwicklung aufzubringen. Die SorgenmeinerMutter hierüber habe ich schon im
Abschnitt 3.2 beschrieben. Ihr, der Frühaufsteherin, war schon mein Tagesrythmus ein
Dorn im Auge. So versuchte sie gelegentlich, mich durch energisches Klopfen am Fen-
ster am späten Vormittag aus demBett zu scheuchen. Ein andermal, im Juli 1959, als
ich amWochenende aus Erlangen zurückkam, fand ich sie völlig niedergeschlagen vor.
Da fiel es mir wie Schuppen von denAugen: ich hatte im Studiereifer ihrenGeburtstag
völlig vergessen! Dieses schlichte Vergessenmachte sie dann dochwieder glücklich, denn
sie hatte infolge der ausbleibendenGratulation gemutmaßt, ichwürde angesichtsmeiner
für sie unverständlichenVerhaltensweisennunauchnochGeburtstage bewußt ignorieren.
AuchausmeinemVaterbracheinesTages ein der haßtmich alsReaktionauf irgendeine
Äußerungmeinerseits hervor, dasRuisinger-Phänomen selbst beimeinemVater!
157FAWB3, S.53.
158FAWB3, S.28.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427