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268 KAPITEL3. ZIELSUCHE
Unter diesenGesichtspunkten gehörtenmeineReflexionen genauso zumeinen diszipli-
nären StudienwiemeineArbeiten inPhysik,Mathematik undLogik. ImUnterschied zu
diesen betrafen sie jedoch nicht nur abstrakte Fragestellungen, sondern auch vielfältigste
AspektemeinesgesamteneigenenLebensraumes,derausderwissenschaftlichenArbeit im
Studium,meinen eigenenReflexionen, denBeschäftigungenmit derMusik und aus dem
ganzen übrigen Leben in der mich umgebenden Umwelt bestand. Ich denke, daß es mir
aufdieseWeisegelang,das zuvermeiden,was IngeborgBachmannals schizoideSpaltung
beiWissenschaftlern diagnostizierte.258
Auch den im vorangegangenen Abschnitt 3.5.3 beschriebenen Schwerpunkt auf Mu-
sik als mein seit der Kindheit betriebenes Nebenfach setzte ich in der Promotionszeit
unvermindert fort. Im Sommer 1964 nahm ich an der Internationalen Sommerakademie
des Mozarteums in Salzburg teil, die bis zum heutigen Tag durchgeführt wird. In de-
ren 3-wöchigemRahmen erhielt ich intensivstenGeigenunterricht von dem international
bekannten französischen Geiger Jean Fournier, dem jüngeren Bruder des weltberühm-
ten Cellisten Pierre Fournier. Mit ihm studierte ich in dieser Zeit das 1. Violinkonzert
in g-Moll, op. 26, von Max Bruch ein, eine wahrhaft große Herausforderung für einen
Amateurgeiger.
Diesen Salzburger Aufenthalt erlebte ich buchstäblich in einer anderenWelt.Wie al-
le Akademieteilnehmer wohnte ich im Schloß Fronburg.259 Dieses war von morgens bis
abends mit einem Knäuel vonMelodien wie aus einemVogelkäfig erfüllt. Im Zimmer
nebenan übte ein exzellenter Cellist. Aus offenen Fenstern hörte man Sänger|innenmit
Tonleitern ihreStimmetrainieren.DiePassagendurchdringenderBlasinstrumentewieder
Oboe erfüllten denSchloßpark auchdurch geschlosseneFenster.AlsAkademieteilnehmer
durfteman für ein geringesEntgeld an allenAufführungender SalzburgerFestspiele und
kostenlos an derenGeneralproben teilnehmen, eineGelegenheit, die ichweidlich genutzt
habe.AuchdasLebenunter lauterMusikern undvor allemauchMusikerinnenumrahmt
von der herrlichen Salzburger Kulisse im Sommer haben bleibende Erinnerungen inmir
hinterlassen.260
Da diese Erfahrung meine Ansprüche steigerten, wagte ich danach denWechsel von
meinemGeigenlehrerMynter zu dessenLehrerGeorgRétyi-Gazda, einemder damaligen
KonzertmeisterdesSymphonieorchestersdesBayerischenRundfunks.Rétyiwarnichtnur
ein begnadeterGeiger, sondern er verstand auch intellektuell, wieman dorthin kommen
258TBIII, S.107f.
259https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Fronburg, Zugriff 19.4.2016.
260TBII, S.2-13.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427