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304 KAPITEL4. FORSCHERLEBEN
wurdewohl derGrundstock für ihre auchheutenochvorhandeneund inzwischenauf ihre
eigeneTochter übertragene Leidenschaft zumBaden gelegt.
Neben all diesemaufwändigenberuflichenEngagement nahmenwir uns natürlich auch
die Zeit, Land und Leute kennenzulernen. In unserer Wohnanlage ergab sich ein sehr
freundschaftliches Verhältnis zu unserer unmittelbarenNachbarin, Frau Sobah, die gele-
gentlich auch unsere kleineMiriambetreute. Sie war vonHerkunft Armenierin, und von
ihr hörte ich erstmals von dem schrecklichenGenozid an diesemVolkAnfang des zwan-
zigsten Jahrhunderts. Mehrmals waren wir auch bei Familie Bruce und Jeanne Howard
eingeladen, diewir durchdieMöbelmiete kennengelernt hatten.DerenTochterCharlotte
besuchte uns Jahre später für einige Tage inMünchen. Auch bei privaten Einladungen
vonKollegen ergaben sich interessante gesellschaftlicheKontakte, nicht zuletztmit euro-
päischenAuswanderern. So erinnere ichmich besonders an einen gebürtigenWiener, der
von den phantasievollenWiener Straßenbezeichnungenwie beispielsweise Strudlhofstie-
ge schwärmte und diese mit den phantasielosen Detroiter Straßennamen wie beispiels-
weise Cass kontrastierte. Sein Heimweh war nicht zu überhören. Gegen Ende unseres
Aufenthalts lernte ich auch den fleißigen Besitzer unsererWohnanlage kennen, der sich
persönlich umderenOrdnungkümmerte. So ergab es sich, daß ich ihmbei derPflege der
Grünanlagen an dieHand ging, wofür ich sogar ein paarDollar Lohn von ihmbekam.
AlsEuropäer ließenwirunsauchdasKulturlebenwiebeispielsweisedieKonzerte inder
2000 Zuhörer fassendenCoboHall (heute CoboCenter) nicht entgehen. EinHöhepunkt
unserer kulturellen Erfahrungen war der Klavierabend im benachbartenAnnArbormit
dem legendärenArthurRubinstein.Unvergessen istdabei,wiemittenunter schwierigsten
Passagen dessen Klavierstuhl zusammenbrach, der damals 84-Jährige den Satz in der
Hocke aber trotzdem standhaft zuende brachte, wofür er dann einen besonders tosenden
Beifall erntete.
Zur Kultur gehört auch die Art des Essens. In dieser Hinsicht litten wir an Kultur-
entzug in besondererWeise. Vor allem das für einenDeutschen sowichtige Brotangebot
empfandenwir als echteKatastrophe für uns.Welch eineFreude, alswirEndeDezember
in einemSupermarkt in Salt LakeCity zumerstenMalwieder ein richtigesVollkornbrot
entdeckten!Wir fandendannheraus, daß es inDetroit amSonntagMorgen eindeutsches
Radioprogrammnicht zuletzt auchmitHinweisen auf deutscheBäcker undMetzger etc.
in der Detroiter Region gab. Von da anwurde das Leben insoweit für uns wieder etwas
erträglicher.
AmEnde desHerbsttrimestersmachtenwir uns kurz vorWeihnachten zu einer ersten
großenReiseaufdemUSHighwayInterstate80genWestenauf.DiehintereLehneunseres
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427