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332 KAPITEL4. FORSCHERLEBEN
rungen, diemir bis heute aufgrundmeinerwissenschaftlichenLeistungen zuteil geworden
sindundvondenen imAbschnitt4.3dieRede seinwird,weisenzudemdaraufhin,daß ich
wohl kein schlechter, sondern eher ein besonders erfolgreicher Professor gewesen bin. Ich
wardaher füralle ersichtlichzurRolle einesProfessorsgeeignetundalsowardieEntschei-
dung desFachbereichsMathematik und Informatik derTUMvom4.5.1977 offensichtlich
und unzweifelhaft falsch, diemir genau diese Eignung abgesprochen hat.75
GescheiterteHabilverfahren sind imdeutschen Sprachraum recht selten, kommen aber
durchaus vor. Meistens gelingt es, den/die Kandidaten/in schon vorher davon zu über-
zeugen, daß es für sie/ihn besser wäre, einen anderen Lebensweg als den akademischen
einzuschlagen. EinFall wie dermeinige ist jedoch ziemlich einmalig. Ich jedenfalls kenne
keinen zweiten, bei dem sich die negative Entscheidung später eindeutig als falsch her-
ausstellen konnte, weder ausmeiner jahrzehntelangen akademischenPraxis noch aus der
mir bekannten Literatur. Wegen dieser Einmaligkeit lohnt sich eine Analyse, wie es zu
einer solchenbedauerlichenFehlentscheidunghatte kommenkönnen.DenndieEinmalig-
keit bezieht sich ja nicht darauf, daß derart falsche Entscheidungen zur Lehrbefähigung
nicht öfter vorkommen können, sondern lediglich darauf, daß es mir ungeachtet der ne-
gativen Entscheidung trotzdem gelungen ist, schließlich doch noch Professor zu werden
(von vergleichbaren Entscheidungen in anderen Bereichen unserer Gesellschaft ganz zu
schweigen).
Bedauerlich ist eine solche Fehlentscheidung in zweifacherWeise. Zum einen schadet
sie demgutenRuf der beteiligten Institutionen undPersonen, auchwenndiese alles tun,
um ja keinen Fehler zugeben zumüssen. Entscheidender ist aber der Schaden, der dem
gescheitertenHabilitanten zugefügtwird, der existenzbedrohend seinkann.Daes sichbei
Habilitanten um schon durch Studienabschluß undPromotion mehrfach bewährte
Spitzenkräfte handelt,wirkt sich der Schadendurchaus auch auf dieGesellschaft aus, die
voneiner solchenSpitzenkraftohnedieFehlentscheidungstärkerhätteprofitierenkönnen.
Die Analyse lohnt sich also im Hinblick auf die künftige Abwendung eines derartigen
Schadens für dieGesellschaft ebensowie für künftig potentiell betroffenePersonen.
Nunwirdman sofort einwenden, daß einBetroffenerwegen seinerBefangenheit grund-
sätzlich nicht in der Lage für eine solcheAnalyse sein kann. ZumZeitpunkt desGesche-
hensmagdieserEinwandgerechtfertigt sein.Vier Jahrzehnte danach sinddieEmotionen
aber weitestgehend verflogen. Vor allem habe ich selbstmit einer solchenAnalyse ange-
sichtsmeiner zwischenzeitlich so erfolgreich verlaufenenKarriere überhaupt nichtsmehr
75Es ist erwähnenswert, daßmirmit dieserEntscheidungdasGleichewiemeinemVater geschehen ist:
beidemußten wir infolge von Fehlurteilen existenzielle Bedrohungen überstehen, er imRahmen der im
Unterabschnitt Spruchkammerverfahren desAbschnitt 2.3.2 beschriebenenVorgänge.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427