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4.2. KIETABLIERUNG 369
noch einige wichtigen Details zu den hektischen achtziger Jahren der KI-Etablierung in
Deutschland ergänzend angeführt.
Als sich um 1980 andeutete, daß das Fach der Künstlichen Intelligenz (KI) sich ra-
sant zu einem bedeutenden technologischen Gebiet entwickeln würde, empfand ich eine
dringendeNotwendigkeit, diesemFach zu einemangemessenenNamen zu verhelfen. KI
ist genau genommen ja selbst kein Fachname, sondern bezeichnet das Ziel, das man in
diesemFach erreichenmöchte, eben eine nicht biologisch, sondern künstlich entwickelte
Intelligenz.Kein andereswissenschaftliches Fachgebiet trägt denNamen seines darin an-
gestrebten Zieles.WeilmeineVorstellung von diesemFach und seiner wissenschaftlichen
Zielsetzung von Anfang an nicht nur die der Entwicklung einer KI war, sondern qua-
si als Vorbedingung auch ein möglichst umfassendes Verständnis intelligenten Denkens
und Handelns beinhaltete, ging es daher letztlich um ein Verständnis unseres Intellekts
(bzw. demjenigen anderer Lebewesen). In Analogie zu vielen anderen Fächern (Physik,
Genetik,Mechanik usw.) schlug ich daher Intellektik als naheliegendenNamen für unser
Fach vor,163 der bis heute nichts von seiner Schlüssigkeit als angemessene Bezeichnung
eingebüst hat. Fortan bezeichneten wir uns daher als Intellektikgruppe bestehend aus
Intellektiker|inne|n , auchwenndiemeistenmeinerKolleg|inn|en inderKImirbei dieser
Bezeichnungsänderung bislang unverständlicherweise nicht Folge leistenwollten.
InMünchenbestand sowohl anderenHochschulenwie inder Industrie eingroßes Inter-
esse an derKI.MitmeinerUnterstützung etablierten daher dieHerrenGerhardDirlich,
Christian Freksa und Ulrich Furbach ab 1982 eine Reihe von Treffen der Interessen-
ten für Künstliche Intelligenz und Cognitive Science . Ich selbst sprach davon als dem
Münchener Intellektik-Kreis (MIK).Erumfaßte etwa70 Interessenten.164Umbeidieser
Entwicklung in SachenKI nicht denAnschluß zu verlieren, brachte der inMünchen und
Bayernnicht zuletzt alsMitgliedderBayerischenAkademiederWissenschaftenweiterhin
dominant einflußreiche undwendige Bauer 1984 die Carl Friedrich von Siemens Stiftung
dazu, ebenfalls eineVortragsreihe über dasThema Künstliche Intelligenz zu veranstal-
ten, der durch den hochrangigen Veranstalter ein besonderes Gewicht verliehen wurde
und die er selbst leitete.165Ausgerechnet Bauer schrieb sich nun plötzlich dieKI auf die
163Wolfgang Bibel, Intellektik statt KI Ein ernstgemeinter Vorschlag, Rundbrief der Fachgruppe
Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft für Informatik, Nr.22, 15 16, 1980 (http://www.kuenstliche-
intelligenz.de/de/archive/ki-rundbriefe/, Zugriff 27.9.2016).
Eines derHindernisse zurEinführung derBezeichnung besteht in derTrennung der technologisch orien-
tiertenIntellektikervondenquasigeisteswissenschaftlichorientierten,dieheutegerneauchalsKognitions-
wissenschaftler bezeichnet werden. Genau diese bedauerliche Spaltung derWissenschaftlergemeinschaft
unseres Faches solltemannachmeiner tiefstenÜberzeugung tunlichst vermeiden.
164EineAdreßliste befindet sich imAO7unterMIK inmeinemArchiv.
165Die ersten beiden Vorträge: (Nobelpreisträger) Herbert A. Simon, Beyond Expert Systems: some
possible future directions of artificial intelligence, Febr. 1984; JosephWeizenbaum, Möglichkeiten und
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427