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Publikummit höchster Expertise doch ziemlich aufgeschmissen. Ich stand also in größ-
terGefahr einer drohendenBlamage.Die sich abdiesemZeitpunkt abspielendenAbläufe
erscheinenobjektivals sounwahrscheinlich,daß sie sich in ihrerGesamtheitnachmensch-
lichemErmessen schwerlich als reine Zufälligkeiten einstufen lassen.
Ich ging zurück zumEingang, ummichmit der dort noch vermutetenKonferenzsekre-
tärin, FrauGeiger, wegen beispielsweise einer Verschiebung des Beginns oder ähnlichem
zuberaten.Dortwurdemirgesagt, daß sienochmals insBüromußte, alsohiernichtmehr
greifbarwar.Auchkönne an eineVerschiebungdesBeginnsnicht gedachtwerden.Aufge-
ben kam fürmich nicht infrage. Ich ging also zurück zumVeranstaltungsort undnotierte
mir ausmeinemGedächtnis imGehen noch ein paar Stichpunkte zumeiner Rede.Weit
kam ich damit nicht, denn vor Ort geriet ichmitten in das Veranstaltungsgeschehen, in
demmanalteFreundetrifftundzumNachdenkenkeineChancemehrerhält.Esgingauch
rechtbald losmit einerRededesveranstaltendenKollegen,HerrnBenzmüller, gefolgtvon
derRede einer Politikerin aus demBerliner Senat, und dann kam ich an dieReihe.
Inmeinen einleitendenWorten gestand ichmeinen ZuhörernmeinMalheur und legte
dann los. Die erste Hälfte meines Vortrages gelangmir aus demGedächtnis noch recht
gut, wobei mir halt meine große Routine zuhilfe kam. Da schlich sich Herr Benzmüller
unauffällig ans Rednerpult und schobmir etwas zu. Dawar es meinManuskript! Ich
war gerettet! Entspannt konnte ichmeine Zuhörermit derBemerkung erheitern, daß ich
nun schon so insReden gekommenwäre und daher das unversehenswieder aufgetauchte
Manuskript auch ganz entbehren hätte können. InWahrheit war die Blamage zu diesem
Zeitpunkt noch lange nicht abgewendet. Aber geschickt fand ich imReden die aktuelle
Stelle imManuskriptundkonntevonnunandenRestaufgrundderverfügbarenUnterlage
bestens zuende bringen, ein glücklicherAusgang.
Wie aber war das Manuskript unversehens wieder aufgetaucht? Die Antwort hierauf
ist eben die fast unheimlich anmutendeGeschichte, die ich oben angekündigt habe.Wie
erwähnt, ist die genannte FrauGeiger zufälligerweise mit demFahrrad noch einmal ins
Büro gefahren (1), um von dort etwas Fehlendes zu holen. DenRückweg nahm sie über
die genannte Königin-Luise-Straße (2). Dort sah sie einenmit demGesicht zumBoden
gerichteten, an einen Laternenpfahl gebeugten älterenMann, der ihr den Eindruck von
Hilfsbedürftigkeitmachte.Deshalbhielt siean(3),obwohl sieeigentlich ingroßerEilewar,
und fragte besorgt nach seinemBefinden.Nein, es ginge ihmgut, er habe hier nur einen
Text auf der Straße entdeckt (4), von dem er aber gar nichts verstehen könne. Der Text
enthielthandschriftlicheAnmerkungen.DasiemitmiramVormittageinigebürokratische
Prozeduren abgewickelt hatte und ihr dabeimeine krakeligeHandschrift aufgefallenwar
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427