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spekuliert hatte,158 eine Genugtuung dar. Noch anlässlich der Diskussionen um
die Uraufführung von Heldenplatz wird er an Cilli Wang schreiben, er halte
Bernhard „für gewissenlos und für einen grundschlechten Menschen“.159 Wie
andere Beziehungen Thomas Bernhards zu konkurrierenden Akteuren im lite-
rarischen Feld – allen voran zu Peter Handke – endete auch diese unversöhnt.
„ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne
(Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh)
Polemische Bezugnahmen auf Feuilleton und Kritik finden sich auch an zahl-
reichen Stellen in Thomas Bernhards Theatertexten. So setzt die Bühnenhand-
lung von Der Ignorant und der Wahnsinnige, 1972 bei den Salzburger Festspielen
uraufgeführt, unmittelbar mit der Lektüre von Opernkritiken ein: „Hören Sie /
was über die Premiere geschrieben wird
/ es handelt sich
/ um ein unsterbliches
Werk / ein Genie etcetera“ (TBW 15, 227), berichtet der Doktor dem fast erblin-
deten Vater der gefeierten Sopranistin, die an diesem Abend zum 222. Mal die
Partie der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte singen und anschließend
alle weiteren Engagements und Verpflichtungen absagen wird: „Die Stimme Ihrer
Tochter“, so der Doktor mit prüfendem Blick in die Zeitungen, „die perfekteste
einerseits / makellos andererseits / und die Technik / jedes zweite Wort ist das
Wort authentisch / jedes dritte Wort das Wort berühmt“ (TBW 15, 227). Ist er
eben noch damit beschäftigt, die euphorischen Premierenberichte zu sichten und
die häufigsten Lobesworte zu zählen
– „neunzehnmal das Wort stupend“ (TBW
15, 227)
–, wirft er die Zeitungen gleich darauf angewidert zur Seite: „Immer der
gleiche Dreck
/ einen Menschen wie mich ekelt noch immer
/ vor dem täglichen
Empfindungsreichtum des Feuilletonismus“ (TBW 15, 229).
158 Vgl. Prutti: Festzertrümmerungen (Anm. 90), S. 7, 36, 57 u. 72 f. – In dem im April 1981 – also
einige Monate vor der Nobelpreis-Verleihung an Canetti
– gedruckten Stück Über allen Gipfeln
ist Ruh trifft „ein Brief aus Stockholm“ an den erfolgreichen Schriftsteller Moritz Meister ein
(TBW 18, 175); da er in der Folge jedoch nicht geöffnet wird, „bleibt unklar, ob ihm auch der
Nobelpreis für Literatur zugesprochen worden ist“ (Nina Birkner: Vom Genius zum Medien-
ästheten. Modelle des Künstlerdramas im 20.
Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 2009, S.
234).
–
Vgl. zu Bernhards Reflexionen über den Nobelpreis auch Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas
Bernhard (Anm. 145), S. 406, 459 f., 481 u. 556, sowie Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas
Bernhard (Anm. 4), S. 93: „Ich war schon zweimal für den Literaturnobelpreis vorgeschla-
gen […]. Nur, ich würd’ ihn ja gern kriegen, um ihn dann nicht anzunehmen, aber man kann
nicht ablehnen, was man nicht bekommt.“
159 Elias Canetti an Cilli Wang, 16. 12. 1988. In: Canetti: Ich erwarte von Ihnen viel (Anm. 135),
S. 744. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne 103
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471