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The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone
Es ist fraglich, ob Bernhard mit seiner Rezension des Kreisky-Bandes tatsÀchlich
beabsichtigte, sich âals KritikerÂ
[âŠ] zu profilierenâ, wie Clemens Götze vermutet.83
Vielmehr ĂŒbertrug Bernhard hier â von einer in Ăsterreich breitenwirksamen
Zeitschrift dazu aufgefordertÂ
â den bereits in anderen Genres erprobten Gestus
polemischen Schreibens in die Gattung der Buchrezension, ohne sich besonders
um deren spezifische darstellerische Verfahren zu kĂŒmmern. Der Auftrag der
profil-Redaktion bot demnach lediglich den Anlass des Schreibens, ohne dass
Bernhard seine etablierte âRhetorik der Bezichtigungâ 84 wesentlich an die Kon-
ventionen der Gattung angepasst hĂ€tte, zumal er ja selbst in Zweifel zog, âder
richtige Besprecherâ zu sein (TBW 22.1, 621). Die Rezensionsanfrage fungierte
im Grunde als Trigger fĂŒr die Abfassung einer polemischen Intervention, zu
deren öffentlichkeitswirksamer Lancierung Bernhard bislang vor allem Leser-
briefe bzw. offene Briefe genutzt hatte. Der Vergleich mit einem im Februar 1981,
also in unmittelbarer zeitlicher NĂ€he zur Kreisky-Polemik, im Wiener Journal
publizierten Leserbrief ĂŒber Franz Stelzhamer legt die Vermutung nahe, dass
Bernhards Rezension der hagiographischen Kreisky-Festgabe weniger darauf
abzielte, ihren Verfasser nach langer Abstinenz wieder als Literaturkritiker zu
positionieren.85 Es folgten auch keine weiteren Versuche Bernhards in dieser
Richtung. Das Genre der Besprechung bot sich vielmehr bei dieser konkreten
Gelegenheit als öffentlichkeitswirksames, die Aufmerksamkeit eines gröĂeren
Publikums garantierendes Medium fĂŒr seine Attacke gegen Kreisky an.
Am 23. MÀrz 1981 meldete sich Bernhard, dessen Rezension vielfÀltige Leser-
reaktionenÂ
â etwa vom jungen Michael HĂ€uplÂ
â hervorgerufen hatte,86 erneut in
profil zu Wort. Er behauptete nun in einer Zuschrift an die Redaktion, dass âMit-
glieder der Sozialistischen Partei Ăsterreichs, die hier in meiner Umgebung leben
und die mir namentlich bekannt sindâ, âdas von mir besprochene Buchâ ĂŒber den
im Literaturbetrieb fĂŒhrte, âdie eine Vielzahl bis heute wirksamer Einrichtungen schufâ, etwa
die IG Autoren, die Grazer Autorenversammlung oder den Ingeborg-Bachmann-Preis.
83 Götze: âMit allen Anzeichen der Empörungâ (Anm.Â
55), S.Â
55. Es bleibt ĂŒberdies unklar, warum
Götze die Rezension selbst als âLeserbriefâ einordnet (vgl. ebd., S. 54 f.).
84 Mittermayer: LÀcherlich, charakterlos, furchterregend (Anm. 27), S. 25.
85 Bernhard echauffierte sich in der Zuschrift an das Wiener Journal ĂŒber die falsche Schreibung des
âvon mir hochverehrtenâ Autors Franz Stelzhamer (mit zwei statt mit einem âmâ). Aus diesem
Lapsus deduziert Bernhard in der Folge die âDummheit und Scheinheiligkeitâ der gesamten
Zeitschrift (TBW 22.1, 670). Laut Bayer: Das Gedruckte und das TatsÀchliche (Anm. 28), hier
S. 3, âentzĂŒndenâ sich Bernhards Leserbriefe oft âan GeringfĂŒgigkeitenâ, um sich zu âapodik-
tischen Pauschalverdammungen hochzuschraubenâ.
86 Vgl. Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm.Â
4), S.Â
333 f., sowie den Kommentar in TBW
22.2, 828 f. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471