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gleichzeitig Quelle seines Unglücks ist, ist in Einfach kompliziert einem resigna-
tiven Desinteresse gewichen. Nur bei der Zubereitung einer einfachen Jause, so
legt es der Text nahe, findet die Zeitung noch Verwendung.
Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten
Bereits am 3.
November 1976 hatte sich Bernhard in einer Diskussion zur Situa-
tion des Gegenwartstheaters in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung pointiert
zu Wort gemeldet. Der Essay mit dem Titel Ist das Theater nicht mehr, was es
war? richtet sich allerdings – anders als seine Polemik gegen das Salzburger
Landestheater Mitte der 1950er Jahre (vgl. TBW 22.1, 411 – 413) oder die geplante
„wissenschaftliche Arbeit“ (TBW 14, 35) in Ist es eine Komödie? Ist es eine Tra-
gödie? – nicht vorrangig gegen das Niveau des zeitgenössischen Theaters,186
sondern gegen die „sogenannten Theaterkritiker“, die sich mit „furchtbar ver-
zerrter Kompetenzmiene […] die Köpfe darüber zerbrechen, ob und in was
für einem katastrophalen Ausmaß eine Dramendürre in Deutschland herrsche“
(TBW 22.1, 613):
Die Theaterkritiker und die sogenannten Theaterkritiker haben immer und lebens-
länglich von der sogenannten Theaterdürre gelebt wie die Bauern und die sogenannten
Landwirte von der Getreidedürre, und die Bauern und die sogenannten Landwirte
werden auch in Zukunft und wahrscheinlich, wenn nicht alles täuscht, nicht nur wie
seit, sondern tief in alles künftige vernünftige oder unvernünftige Menschengedenken
hinein von der einträglichen Behauptung, es herrsche eine Getreidedürre, existieren
wie die Theaterkritiker von der Behauptung, es herrsche eine Theater-, genauer, eine
Theaterstückdürre. (TBW 22.1, 611)
Der von Bernhard angestrengte Vergleich zwischen Landwirtschaft und Theater-
betrieb – den er aus einem FAZ-Diskussionsbeitrag von Karlheinz Braun, dem
früheren Leiter des Suhrkamp-Theaterverlags und langjährigen Geschäftsführer
des Verlags der Autoren, aufgreift 187 – mag hinken und nur eingeschränkt stich-
haltig erscheinen, zumal ‚Dürre‘ die physische Existenz in dem einen Bereich auf
ganz andere Weise bedroht als in dem anderen. Er stellt jedoch, humoristisch
186 Zu Bernhards Auseinandersetzung mit „zeitgenössischen Theaterdiskurse[n]“ vgl. Verena Meis:
Bernhard und das Theater der 1970er und 1980er Jahre. In: Bernhard-Handbuch (Anm. 75),
S. 302 – 306.
187 Vgl. Michael Töteberg: Die Dürre der Theaterlandschaft. Polemische Anmerkungen, gestützt
auf Zahlen, Daten und Statistiken. In: Text + Kritik (1988), Sonderbd. „Bestandsaufnahme
Gegenwartsliteratur“, S. 61 – 66, hier S. 65.
Unfreundliche Betrachtungen: Einwände gegen die
Literaturkritik112
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471