Page - 9 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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VORWORT
Als Peter Handke im Oktober 2019 von der Schwedischen Akademie der Nobel-
preis fĂŒr Literatur zuerkannt wurde, war die vorliegende Dissertation bereits seit
einem guten halben Jahr abgeschlossen und wenige Monate zuvor an der Universi-
tÀt Salzburg approbiert worden. Im Zuge der neu aufgeflammten Diskussionen um
Handkes âJugoslawien-Texteâ wurde auch das VerhĂ€ltnis des Autors zur Literatur-
kritik, zum Feuilleton und zum Journalismus im Allgemeinen erneut verhandelt:
Worin liegt das Eigenrecht der Literatur begrĂŒndet, wenn es um die Kommentierung
aktueller politischer und gesellschaftlicher Konflikte geht, und wie unterscheidet sie
sich von der Sprache des von Handke vielfach geschmÀhten Journalismus? Welche
Formen öffentlicher Kritik an einer Person sind zulĂ€ssig, und welche ĂŒberschrei-
ten, wie auch immer man MaĂ nimmt, den Bereich des Vertretbaren? Sind in der
Berichterstattung ĂŒber einen Schriftsteller Werk und Person tatsĂ€chlich sinnvoll
zu trennen, und hat nicht gerade Peter Handke â Ă€hnlich wie Thomas Bernhard â
diese Trennung im Lauf seiner Karriere wiederholt, ja nachgerade programmatisch
unterlaufen? Petitionen fĂŒr und gegen Handke wurden in diesem turbulenten Lite-
ratur-Herbst 2019 lanciert, in den Feuilletons deutschsprachiger, aber auch inter-
nationaler Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien stritt man heftig ĂŒber das
Werk des österreichischen Autors, besonders aber ĂŒber sein öffentliches Auftreten,
etwa ĂŒber seine Rede beim BegrĂ€bnis von Slobodan MiloĆĄeviÄ im Jahr 2006.
2010 hatte Handke in einem GesprÀch mit den beiden Journalisten Hubert
Patterer und Stefan Winkler geĂ€uĂert, der Nobelpreis sei âetwas ungeheuer Politi-
schesâ und bedeute im Grunde den âTod der Literaturâ: âDas passt nicht zu mir.â 1
Einige Jahre spÀter antwortete er anlÀsslich der von ihm kritisierten Verleihung
des Nobelpreises an die weiĂrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch auf
die Frage, ob er damit rechne, den Preis eines Tages selbst zu erhalten: âDas ist
eine alberne Frage, und meine Antwort kann nur noch alberner sein: Ich ver-
diene ihn nicht, weil er sinnlos ist.â 2 Nun, im Oktober 2019, sah Handke sich
selbst mit der politischen Dimension des Nobelpreises konfrontiertÂ
â und damit,
bei diversen Gelegenheiten öffentlich Rede und Antwort stehen zu mĂŒssen: Das
âĂffentlicheâ, das hat Handke wiederholt betont, sei ânicht [s]ein MaĂâ 3 â ein
Umstand, der im Zuge der Debatten erneut deutlich zutage trat.
1 Peter Handke im GesprÀch mit Hubert Patterer und Stefan Winkler. Graz: Edition Kleine
Zeitung 2012, S. 23.
2 Heinz Sichrovsky: Der König der Niemandsbucht. [GesprÀch mit Peter Handke.] In: News,
Nr. 2, 16. 1. 2016, S. 84 â 89, hier S. 89.
3 Peter Handke: Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und AnflĂŒge von der Peripherie
2007 â 2015. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2016, S. 243.
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471