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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck Nachdem Handke seine TĂ€tigkeit als Autor von Essays und Besprechungen anderer BĂŒcher Anfang der 1970er Jahre zugunsten seiner eigenen literarischen Arbeiten deutlich reduziert hatte, entdeckte er Mitte der 1970er Jahre  – wohl auch bestĂ€rkt von der positiven Resonanz auf seinen Lenz-Aufsatz  – wieder eine gewisse Freude am Rezensieren: „Nach meiner letzten Arbeit bin ich eigentlich in dem Zustand“, teilt er am 8.  Januar 1975 dem befreundeten Autor Nicolas Born mit, „daß ich nur noch von anderen schreiben möchte, freilich mit mir als UnterstĂŒtzung (fĂŒr die andern).“ 206 Bereits einige Monate zuvor, am 1.  Juni 1974, hatte Handke einen Beitrag ĂŒber Franz Kafka in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht; auch dieser beginnt mit einer prĂ€gnanten Leseszene (einer Erinnerung an frĂŒhere Kafka-LektĂŒren), die sogleich eine ĂŒberraschende Wendung nimmt: „Es gab eine Zeit, da las ich die TagebĂŒcher von Kafka, seine Briefe, und auch das, was seine Freunde ĂŒber ihn geschrieben hatten, nur aus dem Grund noch einmal durch, weil ich herausfinden wollte, ob er vielleicht Pickel gehabt hĂ€tte.“ 207 Noch heute stelle er sich, so Handke, „immer vor, Kafka hĂ€tte als Heranwachsender Akne gehabt, schmerzhafte, eiternde Schwellungen im Gesicht und am Hals“, obgleich Freunde wie Max Brod ihn durchwegs als „schön“ bezeichnet hĂ€tten.208 Im weiteren Verlauf des kurzen Textes setzt Handke sein eigenes Schreiben explizit mit seinen Reflexionen ĂŒber Kafka in Beziehung, wenn er von seinem Plan berichtet, „eine Geschichte [zu] schreiben, in der jemand, dadurch daß er Akne bekam, alles mit anderen Augen anzuschauen begann. Diese Geschichte sollte ‚AKNE‘ heißen. Das war vor langer Zeit, als meine Welt die Welt Kafkas war und mein Held Dr. Franz Kafka.“ 209 Hier deutet sich  – indem Handke seine frĂŒ- here Identifikation mit Kafkas Literatur einer distanzierteren Haltung zum Zeit- punkt des Niederschrift gegenĂŒberstellt 210  – bereits die Leitlinie der berĂŒhmten (Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 – 1987). Salzburg, Wien: Residenz 1998, S.  351). Zur Idee des ‚Begleitschreibens‘ bei Handke vgl. grundlegend Struck: Der Begleitschreiber (Anm.  65), bes. S.  13 f. 206 Peter Handke an Nicolas Born, 8. 1. 1975. In: N. B., P. H.: Die Hand auf dem Brief. Briefwech- sel 1974 – 1979. In: Schreibheft (2005), H.  65, S.  3 – 35, hier S.  7. In diesem Brief an Born nennt er u. a. seinen „Aufsatz ĂŒber die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith“, fĂŒr den er „allerdings 2  Monate gebraucht habe“ (ebd.); er erschien wenige Tage spĂ€ter, am 13. 1. 1975, unter dem Titel Die privaten Weltkriege der Patricia Highsmith im Spiegel. 207 Peter Handke: Zu Franz Kafka. [1974] In: P. H.: Das Ende des Flanierens (Anm.  48), S.  153 – 155, hier S.  153 (zuerst, anlĂ€sslich von Kafkas 50. Todestag am 3. 6. 1974, gedruckt als P. H.: Gewal- tiger als alle Handlungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 6. 1974). 208 Ebd. 209 Ebd. Vgl. noch Hage/Schreiber/Handke: „Gelassen wĂ€r’ ich gern“ (Anm.  38), S.  172. 210 Vgl. Handke: Zu Franz Kafka (Anm.  207), S.  153 f.: „Wie habe ich mich in der Scham Kafkas wiedergefunden  – nein, nicht wiedergefunden, sondern ĂŒberhaupt erst einmal entdeckt  
 und Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen Literaturkritik262 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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