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Noch im letzten lĂ€ngeren Textblock des StĂŒcks werden neben der âschleichen-
de[n] Pestâ, den âSchwangerschaftsunterbrecher[n]â und dem âverrottete[n]
BĂŒrgertumâ auch die âCharakterdarstellerâ, die âMenschendarstellerâ, ja die
âMeilensteine in der Geschichte des Theatersâ ins Visier genommen.258 In jenem
StĂŒck, dessen Methode Handke zufolge darin bestand, âdaĂ alle Methoden bisher
verneint wurdenâ,259 stellt der junge Autor im Zuge seiner Reflexion des Theaters
in actu auch die journalistischen Klischees des Sprechens ĂŒber diese Institution
und ihre Àsthetischen Prinzipien infrage. Er problematisiert das Vokabular der
Literatur- und Theaterkritik jedoch â anders als in den Rundfunkfeuilletons â
nicht, indem er dessen KonventionalitÀt und Phrasenhaftigkeit beschreibt und
eine andere Form des Sprechens ĂŒber kĂŒnstlerische Artefakte in Aussicht stelltÂ
â
âEs sind auch andere SĂ€tze möglichâ 260 â, sondern er vollzieht diesen Einspruch
gerade durch die ostentative Verwendung der entsprechenden Formeln in einer
âgenuin theatrale[n] Situationâ, nĂ€mlich auf der BĂŒhne.261
âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:
Erstsprache vs. Zweitsprache
Im bereits zitierten Brief an Henning Rischbieter hat Peter Handke, einige Monate
nach der UrauffĂŒhrung der Publikumsbeschimpfung, seine Vorbehalte gegenĂŒber
der Institution des Theaters ein weiteres Mal mit einem negativen Urteil ĂŒber
die Theaterkritik verschrĂ€nkt: Weil diese sich oft âmenschlich-persönlich statt
sachlichâ geriere, ânicht informativ, sondern vertraulich-privater Tipâ sei, könne
sie keine prĂ€zise formale Analyse der StĂŒcke liefern: âMan beschreibt (auch Ihre
Zeitschrift [i. e. Theater heute]) StĂŒcke, als ob sie Wirklichkeit wĂ€ren, und erle-
digt in trĂ€gen Metaphern dann die Form dieser StĂŒcke, als ob Was und Wie zwei
Welten wĂ€ren.â 262 Die erstarrte Metaphorik des Sprechens ĂŒber das Theater habe,
wie Handke in diesem dichten, in der Forschung jedoch wenig beachteten Text
ausfĂŒhrt, ganz wesentlich zum gegenwĂ€rtigen Dilemma des Theaterbetriebs und
zu seiner eigenen âAversionâ diesem Betrieb gegenĂŒber beigetragen:
[D]as war es auch noch, was mich am Theater und am Gerede vom Theater gestört
hat: die Metaphorik. Sogar Ihre Zeitschrift, wenn auch mit recht effektvollem Jargon,
sucht ihr Heil in der Bildersprache, wenn die Bilder eines StĂŒcks schon beschrieben
258 Handke: Publikumsbeschimpfung (Anm. 252), S. 47.
259 Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (Anm. 222), S. 27.
260 Handke: âBĂŒchereckeâ vom 21. 12. 1964 (Anm. 221), S. 190.
261 Klessinger: Postdramatik (Anm. 169), S. 141.
262 Handke: Briefe ĂŒber Theater (1) (Anm. 251), S. 37. Erstsprache vs. Zweitsprache 129
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471