Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Page - 372 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 372 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Image of the Page - 372 -

Image of the Page - 372 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text of the Page - 372 -

Kreisky hingegen verlor ĂŒber Bernhards Attacken lange Zeit kein Wort  – erst anlĂ€sslich der UrauffĂŒhrung von Heldenplatz 1988 Ă€ußerte er sich in einem Telefon interview mit der Kronen Zeitung, wobei er die Aufrichtigkeit des Autors in Zweifel zog.92 Auch Bernhards Angriffe gegen Roth und Turrini finden ihre Entsprechung und Erweiterung in den Invektiven fiktionaler Figuren und Sprechinstanzen: In HolzfĂ€llen etwa echauffiert sich der ErzĂ€hler ĂŒber die vielerorts praktizierte „ver- abscheuungswĂŒrdige Staatsanbiederungskunst als Literatur“ (TBW 7, 157), ĂŒber jene Autorinnen und Autoren zumal, die als „absolut niedertrĂ€chtige Staats- pfrĂŒndnerexistenzen“ (TBW 7, 158) den „gemeine[n] und verlogene[n] Weg des Staatsopportunismus“ beschreiten (TBW 7, 161). WĂ€hrend die schreibenden Kol- leginnen und Kollegen in HolzfĂ€llen durch Decknamen vorderhand nicht mehr eindeutig zu identifizieren sind  – fĂŒr Insider waren und sind sie es bekanntlich sehr wohl  –, boten Rezension und Leserbrief Bernhard die Möglichkeit, die Polemik direkt und unverstellt ad hominem zu richten. Die Besprechung des Kreisky-Bandes in der Zeitschrift profil ĂŒbernahm bei sich bietender Gelegen- heit die Funktion einer initialen Provokation, ansonsten spielte das Genre der Literaturkritik in Bernhards Ensemble polemischer Einmischungen  – ganz im Gegensatz zu Handkes publizistischer Praxis  – aber keine wesentliche Rolle mehr. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) WĂ€hrend sich Bernhards literaturkritische Ambitionen ab Mitte der 1950er Jahre auf die referierte Kreisky-Episode beschrĂ€nkten, taucht in seinen Äußerungen zur Literaturkritik neben deren pauschaler Verunglimpfung auch das Motiv der ‚Selbstrezension‘ auf. Gemeint ist damit weder die von GĂ©rard Genette beschrie- bene Idee, einem Buch durch Kommentare des Verfassers zu einer „relevanten LektĂŒre“ zu verhelfen,93 noch sollte, wie Friedrich Schiller dies im Zuge der Urauf- fĂŒhrung der RĂ€uber 1782 in Szene gesetzt hat,94 die anonyme Selbstrezension den Austausch von Literatur und Literaturkritik im öffentlichen Raum (und damit 92 Vgl. Christoph: Chronik eines Eklats (Anm.  41), S.  97, und Bentz: Thomas Bernhard  – Dich- tung als Skandal (Anm.  54), S.  78 f.; dazu auch Petritsch: Bruno Kreisky (Anm.  13), S.  290, der  – leider ohne Nennung einer Quelle  – den Wortlaut von Kreiskys Kommentar zitiert: „Bernhard ist ein schrecklicher Raunzer. Ich habe ja gewisse Sachen von ihm gelesen, da war er immer souverĂ€n  – als Raunzer. In Wirklichkeit ist der Bernhard ein KleinbĂŒrger.“ 93 GĂ©rard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort v. Harald Weinrich. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001, S.  10. 94 Vgl. Thomas Wegmann: Der Dichter als „LetternkrĂ€mer“? Zur Funktion von Paratexten fĂŒr die Organisation von Aufmerksamkeit und Distinktion im literarischen Feld. In: Das achtzehnte Jahrhundert 36 (2012), H.  2, S.  238 – 249, hier S.  242 f., sowie Nina Birkner: Die Theaterkritik Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard372 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
back to the  book Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf